Sur la route de Phalère (11)

Wann fängt die Liebe an und wann hört sie auf?


Der Beginn der Liebe wird gerne mit dem ersten Blick konnotiert. Es war Liebe auf den ersten Blick. Dieser Blick durchschneidet das Liebesgeschehen wie der Blitz die dunkle Nacht. Ein solcher Anfang kann nur im Nachhinein gesetzt werden. Der Anfang selbst liegt in der Schwellengegend zwischen dem ersten und dem zweiten Blick und kann nur post festum markiert werden. Er wird dann als Fixpunkt hochgerechnet und in die Chronologie des Intimsystems eingespeist: "Weißt du noch als wir uns damals am Kiosk trafen? Du hattest dein Geld vergessen und sahst so hilflos aus und wolltest schon umkehren; da nahm ich all meinen Mut zusammen und spendierte dir ein Bier und du erzähltest mir, daß deine Frau dich verlassen habe."


Wann hört die Liebe auf? - Auch dieser Zeitpunkt liegt im Dunklen. Es ist ein schleichender Prozeß, an dessen Ende man erst seinen Anfang setzen kann. Dann müssen Geschichten umgeschrieben werden:


"Ach, dabei hätte ich es wissen müssen. Gleich beim ersten Zusammentreffen am Kiosk warst du schon ein mittelloser Alkoholiker, der keinen Cent in der Tasche hatte. Kein Wunder, daß deine Frau dich verlassen hat!"

Kommentare 1

  • "Wann hört die Liebe auf?"


    Die Erfahrung am Gebrauchtwerden und die Inanspruchnahme von Zuneigung anderer charakterisiert den Menschen als soziales Wesen. Wenn hierbei der Einfluss von Emotionen ein nicht abschließend bestimmbares Maß übersteigt, dann kann hieraus auch eine erotische Liebesbeziehung entstehen. Letzteres impliziert zum einen, dass das Gefühl der Liebe also keiner festen anthroposophischen Konstante genügt, sowie andererseits, dass dasselbe eben auch stark auf halbwertzeitbehafteten Emotionen beruht; welche sich über ein sozio-psychologisch per se als fragil zu betrachtendes, invasives Interesse am Leben eines anderen artikulieren. Ein früheres oder späteres Scheitern zählt damit also zur integralen Optionalität einer jeden Liebesbeziehung(!).


    Hierzu äußert Niklas Luhmann, welcher die Liebe auch als Kommunikationscode und Verhaltensmodell betrachtet, dass „das personale Moment in sozialen Beziehungen nicht extensiviert, sondern nur intensiviert werden kann. Es werden, mit anderen Worten, soziale Beziehungen ermöglicht, in denen mehr individuelle, einzigartige Eigenschaften der Person oder schließlich prinzipiell alle Eigenschaften einer individuellen Person bedeutsam werden“ (vgl. Luhmann; 1983 : 14). Und was das damit verbundene Kommunikative anbetrifft, fährt dieser dazu damit fort „Und es gibt vor allem auf der kommunikativen Ebene Regeln und Codes, die festlegen, dass man in bestimmten sozialen Beziehungen [bzw. am Beispiel der Liebe] prinzipiell für alles am anderen aufgeschlossen zu sein hat, kein Desinteresse bekunden darf an dem, was der andere persönlich wichtig nimmt, und seinerseits keine Fragen unbeantwortet lassen darf, auch und gerade wenn sie auf Persönliches zielen“ (vgl. ebd).


    Die Dauerhaftigkeit des Gefühls der Liebe an einem anderen Menschen wird demzufolge auch (aber nicht nur) dadurch bestimmt, wie sehr sich die Beziehungspartner in dieser emotionalen Phase des gegenseitigen Kennenlernens „verbiegen“, d.h. sich selbst in deren ansonsten freien Entscheidung überfordert haben?