Sur la route de Phalère (9)

Was tut das Bewußtsein, wenn es liebt? - Niemand weiß es. Dabei ist kein Mangel an Beschreibungen. Die Liebe ist bevorzugter Gegenstand poetischer Reflexionen. Die europäische Kulturgeschichte ist reich an Diskursen über das Gefühl der Liebe, über ihre Erhabenheit, ihre Unendlichkeit, ihre Schönheit. Sie nutzt dazu den Reichtum an Ausdrucksformen der bildenden Kunst, der Musik, der Dichtung, der Philosophie. Und natürlich und zu recht erheben auch die Biologie und die Neurowissenschaften einen Anspruch auf Mitsprache, ebenso die Psychologie. Es geht der Systemtheorie ja keineswegs darum, diese Ansprüche zu delegitimieren. Wie das Bewußtsein (nicht der Mensch) es jedoch anstellt, zu lieben, entzieht sich der Erkenntnis.


Auch die Systemtheorie weiß das nicht. Sie leidet aber darunter auch nicht; schon deswegen nicht, weil sie sich dafür nicht interessiert. Die Systemtheorie hat auch keinen erhöhten Platz, von dem aus sie auf das Treiben liebender Bewußtseine herab oder gar in diese hinein schauen könnte. Sie gewinnt ihre Befunde auch nur durch Sichtung dessen, was die Semantik der Liebe an Spuren hinterlassen hat.


Systemtheorie hat wie jede Theorie Risiken und Nebenwirkungen der Desillusionierung. Gerade am meist verkauften Buch Luhmanns, Liebe als Passion, war dies zu beobachten. Man hatte sich natürlich anderes erhofft als eine Studie zur Codierung von Intimsystemen, obwohl der Untertitel bereits damit drohte. Hier läßt sich an Trost nur noch einspeisen: man gewinnt an Komplexität, was man an Naivität verliert. Und genau das ist das zentrale Problem des Intimsystems!

Kommentare 1

  • Meine Profession als Sozialwissenschaftler, welche mir per se etwas bescheiden Gemeinsames mit Niklas Luhmann verschafft und welche trotz Emeritierung nichts an Berufung verloren hat, lässt mich, mich einem dualistischen Ordnungssystem andienend, hinter dem mitunter arabeskenhaft mit Poetik und Hermeneutik aufgewerteten philosophischen Davor, auch stets jenes realweltlich soziologisch angereicherte Dahinter suchen. Insofern ist dieser definitorisch fakultätsübergreifend schwer fassbare Begriff der Liebe, allein schon wegen dessen damit einhergehenden christlich sakramentalen Ewigkeitsanspruch, für mich ein Stück weit auch (aber nicht nur!) Ausdruck dieser sozialen Scheinheiligkeit des bürgerlichen Idealismus; ein intimes Refugium gegenüber einem ansonsten dem Voyeurismus preisgegebenen Sozialalltag. Wohingegen die Ehe an sich jene Emotionen einer Liebe sodann hinter eine formaljuristische Vordergründigkeit verbannt, und sich insgesamt in ein anderes biologisches Weltbild einfinden muss, als das dies von den Kirchen jahrhundertelang noch von den Worten eines Thomas von Aquin hergeleitet worden ist.