Sur la route de Phalère (2)

Im Diskurs über Liebe und Intimbeziehungen beginnt der Verstoß gegen die erotical correctness schon mit der Wahl der Anfangsunterscheidung System/Umwelt. Ein Phänomen wie die Liebe, das den meisten Menschen am Herzen liegt, mit der Nomenklatur der Systemtheorie anzugehen, führt zu frühzeitigem Unbehagen gegenüber den theoretischen Grund- und Vorentscheidungen, die damit verbunden sind.


Die Beschreibungen der Liebe, die sich in der Literatur und Kunst finden, veranschaulichen uns ein Phänomen, das in der Regel mit Scheitern verbunden ist. Entweder sind Standesgrenzen dem Erfolg der Liebe im Weg oder es ist die Starrheit der Institutionen, die Moral der Gesellschaft o.ä. Große Romane der Liebe enden tragisch, Kitschromane enden selig. Die Tragik in der kulturellen Semantik der Liebe hängt damit zusammen, daß die Liebe ein Fall hoher Unwahrscheinlichkeit ist, der vor allem dadurch in seinem Bestand fragil ist, daß er mit einem Totalitätsanspruch einhergeht, der das alter ego als Einheit behandelt. Geliebt wird der Mensch in seiner Ganzheit. Man liebt nicht nur das Bewußtsein des anderen oder seine Intelligenz oder seine Biographie oder sein Gehirn. Deshalb reicht es für eine stabile Liebe nicht aus, nur den Körper des anderen zu lieben. Liebe darf also eines nicht: differenzieren. Sie darf nicht mit Unterscheidungen beobachten. Es wird Einheit hergestellt und was darunter nicht verhandelt werden kann, das nicht Liebenswerte, wird damit tolerabel: ihr Schnarchen, seine Unzuverlässigkeit, ihr Schuhtick, seine kriminelle Vergangenheit usw.


Was für die Liebe ein Verbot ist, ist für die Systemtheorie ein Gebot. Sie beobachtet, ohne daß der Mensch in seinem ontologischen Dasein theoretisch adressierbar ist.

Kommentare 1

  • Zitat: «Was für die Liebe ein Verbot ist, ist für die Systemtheorie ein Gebot.»


    Dass der oder die Geliebte ganz, ohne Unterscheidung in Leib, Seel und Geist usw. geliebt wird, die Systemtheorie aber schon mit der Unterscheidung von System und Umwelt beginnt und dann der alter-Ego zur Umwelt zählt, mag stimmen.


    Ich sollte aber mit der Systemtheorie nicht so sehr den alter-Ego sezieren, sondern den Ego, d.h. an mir selber die Unterscheidung in Leib, Seel und Geist usw. vollziehen, wenn ich liebe.


    Niklas Luhmann, Liebe als Passion - zur Codierung von Intimität:

    «Die soziologische Theorie postuliert abstrakt einen Zusammenhang zwischen der Ausdifferenzierung symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien und der Regulierung ihrer »real assets« (Parsons), ihrer symbiotischen Mechanismen. Das kann durch einen Vergleich der Zusammenhänge Geld/ elementare Bedürfnisse, Macht / physische Gewalt, Wahrheit/ Wahrnehmung, Liebe/ Sexualität, anplausibilisiert werden. Die historische Forschung zeigt auf Grund dieser Theorie zusätzlich, dass die Differenzen zwischen dem amour passion-Komplex der Franzosen und der companionship-Ehe der Puritaner in speziell dieser Hinsicht unterschiedliche Anschlussvoraussetzungen vorgegeben hatten: Nur die Semantik des amour passion war, wie wir ausführlich zeigen werden, komplex genug, um die Aufwertung der Sexualität im 18. Jahrhundert absorbieren zu können; die Engländer konnten, obwohl sie für die Integration von Liebe und Ehe viel mehr Vorleistungen erbracht hatten, unter gleichen Bedingungen nur die Missgeburt der Victorianischen Sexualmoral zur Welt bringen.»


    Schon allein in diesem Abschnitt werde ich vor die Frage gestellt, wo bin ich mehr Franzose, wo mehr Engländer? Was sollte ich gemäss Luhmann von den Franzosen lernen, und was von den Engländern (des viktorianischen Zeitalters) eher nicht?