Metakinetik

Nach einer berühmten Formulierung Hans Blumenbergs bringt der historische Wandel einer Metapher "die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein, innerhalb deren Begriffe ihre Modifikationen erfahren". (Paradigmen zu einer Metaphorologie). Ein frühes Beispiel solcher Metakinetik findet sich in Blumenbergs Habilitationsschrift Die ontologische Distanz. Eine Untersuchung zur Krisis der philosophischen Grundlagen der Neuzeit. Es geht dabei um den radikalen Umbruch des griechischen Seinsverständnis, für das der Inbegriff der κόσμος als eines sinnhaft geordneten Ganzen der Welt in seiner intelligiblen Offenheit. Dabei ist der κόσμος nicht nur als wahr ersichtlich, sondern ebenso als gut und schön. Deshalb lag in diesem Seinsverständnis neben der Metaphysik immer auch eine Ethik und eine Ästhetik zugrunde. In Komplementär zum großen galt der Mensch als kleiner Kosmos.


Mit der Gnosis setzt eine Neugestaltung dieses Zusammenhangs ein. Die Welt wird zum Ort der Fremde und der Unheimatlichkeit. Ein überkosmisches Sein macht die Welt zu einem "abgegrenzten, abgeschlossenen und ausschließenden Bezirk" (Die ontologische Distanz; S. 81). Die Grundbefindlichkeit in einem solchen Bezirk ist nicht länger die Behaglichkeit des Weltzuschauers, sondern die Weltabgewandtheit. Das Selbst- und Weltverhältnis, d.h. die "Sinnhorizonte und Sichtweisen" ändern sich mit dem gnostischen Epochenumbruch, unterliegen einer Metakinetik, die an den Metaphern und den unbegrifflichen Formen des philosophischen Denkens abgelesen werden können. Blumenberg bezieht sich an dieser Stelle auf die Studien von Hans Jonas (Gnosis und spätantiker Geist), der von einem "Grundsinn" und von entsprechenden "leitenden Symbole(n) der Weltauslegung" schreibt. Diese die Metakinetik leitenden Symbole sind u.a. Blumenbergs Metaphern.

Kommentare 1

  • Die Gnosis als erlösungslehrender Ausweg aus den Unzulänglichkeiten unseres irdischen Seins heraus? Und somit als Eingeständnis dessen, dass das Übel auf dieser Welt nicht allein durch ein menschliches Eingreifen besiegt werden kann? - Ob nun rein religiösen Ursprungs, oder in philosophisch verbindender Auslegung alltestamentarischer Aussagen mit iranischen, babylonischen und ägyptischen Ideen; in jedem Fall aber einer der umfassendsten Entwürfe eines Seinsverständnisses. (vgl. Hans Conzelmann in dessen „Die Mitte der Zeit“).