Dante

An Dantes divina comedia lassen sich recht gut die Unterschiede einer philologischen und ästhetischen Betrachtungsweise aufzeigen. Ein rein wissenschaftlicher Zugang geht an dem Affektivem dieser Dichtung vorbei; dies Affektive liegt ja schon darin, daß die einhundert Abschnitte canti sind, Gesänge. Die Großeinteilung wiederum nennt Dante selbst cantiche, was man mit "Sangeswerke" übersetzen könnte. Gesang erklingt. Er wird ja nicht gelesen. Auch Homer hat Gesänge verfaßt, die er mündlich vortrug; Dante nennt ihn den signor dell’altissimo canto, den Herrn des höchsten Gesanges. Homer war im Altertum der "fahrende Sänger". Er soll blind gewesen sein, jedenfalls hat er seine Gesänge nicht aufgeschrieben. So gesehen war er kein Literat (wie er es heute für die Altphilologie und Gräzistik ist), sondern ein Sänger. - Ähnlich ist es auch bei Dante. Schon der schlichte Wohlklang des Reims fällt in der Regel aus dem literaturwissenschaftlichen Zugriff auf die comedia heraus. - Eine philosophische Deutung hätte womöglich weniger methodische Einschränkungen, aber auch sie hat mit der divina comedia letztlich doch wieder einen Text vorliegen. - Wie ist also für den nachmittelalterlichen Menschen die Annäherung dann überhaupt noch möglich? - Durch Deklamation. ;)