Blick aus dem Elfenbeinturm

Philosophe en méditation von Rembrandt aus dem 17. Jahrhundert ist ein kleines Ölgemälde, das heute im Louvre hängt. Es hat Dichter und Literaten beschäftigt wie Marcel Proust oder Paul Valérie und auffallend daran ist, daß Rembrandt dabei auf Insignien eines Philosophen und Gelehrten verzichtet hat, Bücher, Globus, Karten, Fernrohr, Messinstrumente fehlen. Es ist eigentlich eine nahezu karge Stube. Ein alter Mann sitzt an einem Tisch, in der Nähe ein Fenster, in der rechten unteren Ecke kümmert sich eine Frau um das Feuer, während eine hölzerne Wendeltreppe die Bildmitte dominiert. Das Zimmer hat etwas von einem Gewölbe, vielleicht eines, das sich in einem Turm befindet.


Der alte Mann ist in Gedanken versunken, weltabgewandt, nachdenklich, von den Dingen des Alltags unbehelligt. Das kleine Eckchen, in dem er sitzt, bietet ihm den Blick nach draußen in Form eines Rundfensters. Die Welt, sie ist da, ist erahnbar, doch der alte Mann ist daran nicht interessiert. Er sitzt in meditativer Haltung und in sich gekehrt. - Das ist kein Zeichen von Weltverachtung, aber von σωφροσύνη (Besonnenheit), die es ihm ermöglicht, aber auch abverlangt, sich im Sinne der ἐποχή des Urteils zu enthalten.


Der Turm bietet die Möglichkeit des periskopischen Blicks. Landschaft kann erfahren werden, aber aus der Distanz. Der Philosoph lebt in der Welt, aber philosophiert über die Welt. Dadurch wird die Welt nicht per se besser, was den Turm in Verdacht bringt, aus Elfenbein gebaut zu sein. So trifft den Philosophen der Argwohn geschäftiger Zeitgenossen, dem Nutzlosen verfallen zu sein. Er begegnet diesem Argwohn mit einem Lächeln. Es ist das Lächeln der Vernunft.

Kommentare 1

  • Um hier exemplarisch jener subtilen Grammatik der Rembrand’schen Bildsprache („Ich sehe etwas, was Dir noch verborgen bleibt“) ein konsistentes Deutungsmuster zuzuordnen, bleibt es angeraten, konsensuell andere seiner der Wissenschaft zeitbehaftet gewidmeten Werke mit einzubeziehen. In dessen Gemälde „Die Anatomie des Dr. Tulp“ tritt dieser Konsens beispielhaft sehr deutlich hervor. Dort wird die Sehne einer offenen obduzierten Hand verkehrt darstellt; wohingegen sich jene dort als anwesend dargestellten Ärzte in einen Anatomieatlas vertiefen und an dieser Diskrepanz keinen sonderlichen Anstoß nehmen. Rembrand greift hier kolportierend das Problem der Interpretation wissenschaftlicher Fakten auf; und lässt zu diesem Thema zugleich auch eine ganz eigene, kritische Position erkennen. Hierzu drängt sich eine Parallele zur Habilitationsschrift des tschechischen Philosophen Jan Patocka aus 1936 auf: „Die natürliche Welt als philosophisches Problem“. Hierin postuliert Patocka, dass die Welt einzig das Resultat menschlichen Denkens sei; und nicht etwa umgekehrt. Wobei naturwissenschaftliche Fakten diese Welt einzig interpretieren; nicht aber objektiv beschreiben.


    Infolgedessen wage ich zum Werk „Der meditierende Philosoph“ die kühne Bildaussage-Interpretation, dass Rembrand hier einem ganz eigenen Darstellungsbedürfnis zum Platon’schen Höhlengleichnis nachkommen will. Wohingegen es Platon darum ging, wie fehlerbehaftet ein Nicht-Philosoph eine sich ihm darbietende Wirklichkeit wahrnimmt, könnte es hier Rembrands Anliegen sein, wie vermessen selbstverliebt die Wissenschaft jeder objektiven Wahrheit gegenübersteht.