Weltbild (4)

Eine der phänomenologischen Spätentdeckungen, die in den Bereich des Bewußtseins fallen (unter dem Titel der "Generalthesis der natürlichen Einstellung") ist bei Husserl die Geschichte. Mit der "Entdeckung" der Geschichte endet der cartesianische Entwurf der Gewißheitsthematik. Heidegger wird das im Brief über den Humanismus die "Wesentlichkeit des Geschichtlichen im Sein" nennen (GA, Bd. 9; S. 340). Hier tut sich ein Problem im Fundierungsverhältnis von Geschichte und Sein auf: auch die Ungeschichtlichkeit des Seinsverständnisses wäre dann seinerseits ein geschichtliches Faktum und ineins damit der cartesianisch-phänomenologische Ansatz ein Fall der Subordinierung unter die Bedingtheiten der Historizität des philosophischen Denkens. - Husserls intentionales Bewußtsein als Inbegriff aller Konstitution von Gegenständlichkeit kann - und hier liegt der Übergang zu Heidegger - nicht der letzte Ausweis sämtlicher Weisen des Daseins sein. Der Einheit intentionaler Bewußtseinsweisen voraus liegt die Offenbarkeit des Seins. Die Seinsfrage über den Horizont der Gegenständlichkeit hinaus zu erschließen, ist die Aufgabe der Existenzialanalyse. Die von Husserl freigelegten intentionalen Strukturen des Bewußtseins können für Heidegger nicht der Seinsgrund des Daseins sein; vielmehr ist es das In-der-Welt-Sein, das allem Erkennen vorausgeht. Dies In-der-Welt-Sein in seiner Frag-würdigkeit ist dem auf Erfassung von Gegenständlichkeit fixierten Denken fremd und im Modus solcher Gegenständlichkeit auch nicht auslegbar. Aus dem beständig Gültigen der cartesianischen Evidenz wird bei Heidegger "das Gleichgültige, jenes ˋWesen´, das niemals wesentlich werden kann." (Heidegger; Hölderlin und das Wesen der Dichtung; in: GA, Bd. 4; S. 34) - Die kürzeste Formel dafür wäre Inständigkeit statt Gegenständigkeit.

Kommentare 2

  • Re: Ignoramus et ignorabimus [wir wissen es nicht und werden es auch nie wissen]


    „[…]Daß Wissenschaft überhaupt sein soll, ist niemals unbedingt notwendig“


    Hier derart dem Exordium jener fraglos stets aufs Neue faszinierenden Heidegger’schen Redendramaturgie noch vor dem Narratio entrissen, droht dem Propositio, infolge der Trennung vom Argumentatio, die Verwaisung; denn dieser fährt dort sodann noch wie folgt fort:


    Soll Wissenschaft aber sein und soll sie für uns und durch uns sein, unter welcher Bedingung kann sie dann wahrhaft bestehen? Nur dann, wenn wir uns wieder unter die Macht des Anfangs unseres geistig-geschichtlichen Daseins stellen. Dieser Anfang ist der Aufbruch der griechischen Philosophie. Darin steht der abendländische Mensch aus einem Volkstum kraft seiner Sprache erstmals auf gegen das Seiende im Ganzen und befragt und begreift es als das Seiende, das es ist. Alle Wissenschaft ist Philosophie, mag sie es wissen und wollen— oder nicht. Alle Wissenschaft bleibt jenem Anfang der Philosophie verhaftet. Aus ihm schöpft sie die Kraft ihres Wesens, gesetzt, das sie diesem Anfang überhaupt noch gewachsen bleibt.[…]


    benivolus, attentus, docilis

  • Das sagt Husserl, also das mit Cartesius und der Geschichte, dass diese das Cartesische Denken abschließt? Das ist interessant, dass das schon wer gesagt hat. Ich sollt unbedingt Husserl endlich mal lesen :D