Theoriekonzept: System und Umwelt

  • In GdG wird dem Thema System und Umwelt eine kurze Diskussion des Begriffs der "Form" vorausgeschickt, denn das scheint verlinkt mit der geschichtlichen Entwicklung des differenztheoretischen Ansatzes und "Form" wird offenbar darüber von Spencer Brown übernommen (Form = Unterscheidung):

    Quote from GdG (S.61f)

    Form ist gerade die Unterscheidung selbst, indem sie die Bezeichnung (und damit die Beobachtung) der einen oder der anderen Seite erzwingt und die eigene Einheit (ganz anders als der Begriff) gerade deshalb nicht selber realisieren kann. Die Einheit der Form ist nicht ihr »höherer«, geistiger Sinn. Sie ist vielmehr das ausgeschlossene Dritte, das nicht beobachtet werden kann, solange man mit Hilfe der Form beobachtet

    Denn mit diesem Konzept Form und dem damit verbundenen Kalkül könne der Anwendungsfall der Form "System und Umwelt" analysiert werden:

    Quote from GdG (S.62)

    Mit Hilfe dieser für einen Formenkalkül, für ein Prozessieren von Unterscheidungen entwickelten Begrifflichkeit kann man auch die Unterscheidung von System und Umwelt interpretieren. Vom allgemeinen Formenkalkül her gesehen ist es ein Sonderfall, ein Anwendungsfall.

    Denn das Thema der Systemtheorie sei mit "System und Umwelt" eine besondere Form von Formen:

    Quote from GdG (S.63)

    Für die Systemtheorie selbst wird mit Hilfe dieses Formbegriffs klargestellt, daß sie nicht besondere Objekte (oder sogar nur: technische Artefakte oder analytische Konstrukte) behandelt, sondern daß ihr Thema eine besondere Art von Form ist, eine besondere Form von Formen, könnte man sagen, die die allgemeinen Eigenschaften jeder Zwei-Seiten-Form am Fall von »System und Umwelt « expliziert.

    Als diese "allgemeine Eigenschaften" werden erwähnt:

    • Gleichzeitigkeit von System und Umwelt.
    • Zeitbedarf aller Operationen.
    • System und Umwelt als zwei Seiten zwar getrennt, aber von der Existenz der anderer Seite abhängig, die Einheit der Form als Differenz.

    Daran knüpft ein aufschlussreicher Abschnitt an:

    Quote from GdG (S.63f)

    Operationen sind nur als Operationen eines Systems möglich, also nur auf der Innenseite der Form. Aber das System kann auch als Beobachter der Form operieren; es kann die Einheit der Differenz, die Zwei-Seiten-Form als Form beobachten - aber nur, wenn es dafür seinerseits eine weitere Form bilden, also die Unterscheidung ihrerseits unterscheiden kann. So können dann auch Systeme , wenn hinreichend komplex, die Unterscheidung von System und Umwelt auf sich selber anwenden; dies aber nur, wenn sie dafür eine eigene Operation durchführen, die dies tut. Sie können, mit anderen Worten, sich selbst von ihrer Umwelt unterscheiden, aber dies nur als Operation im System selbst. Die Form, die sie gleichsam blind erzeugen, indem sie rekursiv operieren und sich damit ausdifferenzieren, steht ihnen wieder zur Verfügung, wenn sie sich selbst als System in einer Umwelt beobachten. Und nur so, nur unter genau diesen Bedingungen, ist dann auch die Systemtheorie Grundlage für eine bestimmte Praxis des Unterscheidens und Bezeichnens.

    Ich habe mal versucht, das hier bisherig Dargestellte, auf jetzt mal rein abstrakter Ebene und mit dem von Spencer Brown übernommenen Form-Begriff im Hinerkopf, als "Zusammenfassung" zu visualisieren:

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    Man müsste glaube ich noch irgendwie erkenntlich machen, dass der "grosse", schwarze Haken bereits zum System gehört (Differenztheoretischer Theorieansatz#1).

    Da Kommunikation die Operation des Systems ist und das System die Unterscheidung System/Umwelt ist und sich das System nur über Operation von der Umwelt unterscheiden kann, ist dann die (rekursive) Ausbildung der Form im System, vom Prinzip her, einfach Kommunikation über Kommunikation (...über Kommunikation über Kommunikation über...)? Das schiene mir konsistent mit der Geschichte um die (Selbst-)Beobachtung, auch dies würde ich auf meinem jetztigen Stand als Kommunikation über Kommunikation bezeichnen (und Beobachten ist eine Operation).
    ( Nauplios du hast irgendwo mal etwas genaueres zu "Kommunikation über Kommunikation" ausgeführt, aber ich kann mich leider gerade nicht erinnern wie das genau ging und ob das mit dem hier konsistent wäre)

    Ich frage mich auch, ob beim grünen Haken dann die Stelle wäre, wo man Selbst- und Fremdreferenz einführen würde (müsste mMn, wenn ich das alles richtig verstanden habe)?

    Eine weitere Frage ist, ob System/Umwelt einfach ein Spezialfall von Form/Medium darstellt. Das "System=Unterscheidung=Form" und "System/Umwelt Spezialfall als Form von Formen" kommt ja explizit vor, aber ich bin mir dennoch unsicher, ob die beiden Form-Begriffe tatsächlich eigentlich identisch sind und nur ihr Kontext variiert (bin der Meinung Ja, aber unsicher).

    Dies Alles führt dann auch zum Konzept der operativen Geschlossenheit:

    Quote from GdG (S.68)

    Die Einsicht, die schon mit der Theorie offener Systeme gewonnen war, daß Unabhängigkeit und Abhängigkeit aneinander und durch einander gesteigert werden können, bleibt voll erhalten. Man formuliert jetzt nur anders und sagt, daß alle Offenheit auf der Geschlossenheit des Systems beruhe. Etwas ausführlicher gesagt, heißt dies, daß nur operativ geschlossene Systeme eine hohe Eigenkomplexität aufbauen können, die dann dazu dienen kann, die Hinsichten zu spezifizieren, in denen das System auf Bedingungen seiner Umwelt reagiert, währen des sich in allen übrigen Hinsichten dank seiner Autopoiesis Indifferenz leisten kann.

    Ich bin ehrlich gesagt schon etwas verunsichert über die Darstellung hier, es scheint ja irgendwie jetzt schon wieder Alles mit Allem verbunden und voneinander abhängig (System/Umwelt, operative Geschlossenheit, Autopoiesis, Beobachter, Systemoperation, ...), so dass ich es als schwierig empfinde, den richtigen Fokus zu setzen und an den richtigen Stellen anzusetzen.

    Ich werde dann noch in den anderen Texten nachlesen und dies hier allenfalls ergänzen oder korrigieren.

  • ( Nauplios du hast irgendwo mal etwas genaueres zu "Kommunikation über Kommunikation" ausgeführt, aber ich kann mich leider gerade nicht erinnern wie das genau ging und ob das mit dem hier konsistent wäre)


    „Kommunikation über Kommunikation“ - hm, ich kann mich nicht so recht erinnern. Vielleicht ist dies gemeint (geschrieben an anderer Stelle):

    Wenn man Luhmanns Definition des Sinnprozessierens als "ständiges Neuformieren der sinnkonstitutiven Differenz von Aktualität und Möglichkeit" (Soziale Systeme S. 100) aufgreift, dann hat das ja einen Anklang an die Phänomenologie, an das, was Husserl "intentionales Bewußtsein" nannte. Luhmann erweitert diesen Grundgedanken der Phänomenologie, daß Bewußtsein immer Bewußtsein von etwas ist, auf soziale Systeme. Auch Kommunikation ist immer Kommunikation über etwas. Sowohl Bewußtsein (Luhmannspricht oft auch von "psychischen Systemen") als auch soziale Systeme haben einen sinnhaften Gegenstandsbezug; es sind die einzigen Systeme, die Sinn verwenden.

    Sinn bezieht sich zwar immer auf etwas Bestimmtes (Aktualität), führt aber immer auch andere Möglichkeiten (Potentialität) mit sich. Das gilt auch wiederum für psychische und soziale Systeme. Sinn ermöglicht, daß Bewußtsein immer an Bewußtsein anschließt, Kommunikation immer an Kommunikation. Sinn ist dabei gleichsam der Platzhalter für weitere Möglichkeiten des (intentionalen) Erlebens beziehungsweise der Kommunikation. Jederzeit hat das Bewußtsein die Möglichkeit, sich auf anderes zu beziehen, hat die Kommunikation die Möglichkeit, das Thema zu wechseln. Doch gilt dabei immer: Bewußtsein und Kommunikation zeichnen sich dadurch aus, daß sie Sinn verarbeiten. Sie operieren grundsätzlich im Medium Sinn.

    Eine Kommunikation kann „Anschlußkommunikation“ generieren und das kann auch Kommunikation über Kommunikation sein, aber auch die Metakommunikation erfolgt nach jenem Modell der dreifachen Selektion, das Grundlage jeder Kommunikation ist. - Es gibt so gesehen nur Kommunikation, keine Kommunikation zweiter Ordnung. Das ist bei der Beobachtung anders. Da gibt es diese Beobachtungen erster und zweiter Ordung.

  • Da Kommunikation die Operation des Systems ist und das System die Unterscheidung System/Umwelt ist und sich das System nur über Operation von der Umwelt unterscheiden kann, ist dann die (rekursive) Ausbildung der Form im System, vom Prinzip her, einfach Kommunikation über Kommunikation (...über Kommunikation über Kommunikation über...)? Das schiene mir konsistent mit der Geschichte um die (Selbst-)Beobachtung, auch dies würde ich auf meinem jetztigen Stand als Kommunikation über Kommunikation bezeichnen (und Beobachten ist eine Operation).

    (…)


    Eine weitere Frage ist, ob System/Umwelt einfach ein Spezialfall von Form/Medium darstellt.


    Kommunikation ist die Operation sozialer Systeme; bei psychischen Systemen (Bewußtseinssystemen) sind das Gedanken. Aber das nur nebenbei.

    Du hast ja einen wichtigen Passus aus Die Gesellschaft der Gesellschaft zitiert: „Sie [die Systeme] können, mit anderen Worten, sich selbst von ihrer Umwelt unterscheiden, aber dies nur als Operation im System selbst.“ (Luhmann)

    All das, was das System (sei es ein Bewußtseinssystem, sei es ein soziales System) „tut“, also sämtliche Operationen, sind systemeigene Operationen. Gedanken schließen sich an Gedanken. Kommunikation schließt sich an Kommunikation. Daß sich das System von seiner Umwelt unterscheiden kann, hat zur Voraussetzung, daß es dafür „eine weitere Form bildet“ (Luhmann). Es muß die Unterscheidung unterscheiden können, was bedeutet, daß die System/Umwelt-Unterscheidung beobachtet wird und diese Beobachtung mithilfe der System/Umwelt-Beobachtung durchgeführt wird. Die System/Umwelt-Unterscheidung wird auf Seiten des Systems kopiert, also auf der „Innenseite der Form“. Oder anders gesagt, die Form des beobachtenden Systems ist die Form des beobachteten Systems.

    Was die Medium/Form-Unterscheidung betrifft, erinnere ich mich schwach an eine mündliche Ausführung Luhmanns, daß die Systemtheorie zwar mit der Unterscheidung von System und Umwelt ansetze, genauso gut aber auch mit der Unterscheidung von Medium und Form beginnen könne. Eigentlich ist ja das System die Form des Mediums Umwelt. (Meine Erinnerung ist allerdings operativ geschlossen, Vorsicht. :))

  • Eine Kommunikation kann „Anschlußkommunikation“ generieren und das kann auch Kommunikation über Kommunikation sein, aber auch die Metakommunikation erfolgt nach jenem Modell der dreifachen Selektion, das Grundlage jeder Kommunikation ist. - Es gibt so gesehen nur Kommunikation, keine Kommunikation zweiter Ordnung. Das ist bei der Beobachtung anders. Da gibt es diese Beobachtungen erster und zweiter Ordung.

    Hm, ok, aber ist das denn nicht "nur" eine Frage der Beschreibungssprache? Wenn Beobachtung nur vom System aus und durch das System als Operation erfolgen muss und die Systemoperation aber Kommunikation ist, müsste ja eigentlich Beobachtung konsequenterweise eine Art der Kommunikation sein, oder nicht?
    Also das, was hier gerade passiert, ist ja Kommunikation und da das Thema Kommunikation selbst ist, wäre es doch in gewissem Sinne - so hätte ich das jetzt jedenfalls gedeutet - "Kommunikation über Kommunikation". Und das korrespondiert, hätte ich jetzt eigentlich vermutet, gerade schön damit, dass das hiesige Thema mit der Systemtheorie, also der Beschreibung des Systems selbst, in gewissem Sinne eine Beobachtung des Systems darstellen müsste (?) Ich glaube ich sehe deinen Punkt mit der fehlenden Metaebene, aber das Beschriebene scheint mir ebenfalls sehr gut aufzugehen :/. (Vielleicht könnte man sagen, dass die Metaebene für Kommunikation "pseudo" ist und über Sinnform realisiert wird, oder irgend so etwas?)

  • Was die Medium/Form-Unterscheidung betrifft, erinnere ich mich schwach an eine mündliche Ausführung Luhmanns, daß die Systemtheorie zwar mit der Unterscheidung von System und Umwelt ansetze, genauso gut aber auch mit der Unterscheidung von Medium und Form beginnen könne. Eigentlich ist ja das System die Form des Mediums Umwelt.

    Ah sehr, sehr schön! Genau so hätte ich das erwartet :).

  • Hm, ok, aber ist das denn nicht "nur" eine Frage der Beschreibungssprache? Wenn Beobachtung nur vom System aus und durch das System als Operation erfolgen muss und die Systemoperation aber Kommunikation ist, müsste ja eigentlich Beobachtung konsequenterweise eine Art der Kommunikation sein, oder nicht?
    Also das, was hier gerade passiert, ist ja Kommunikation und da das Thema Kommunikation selbst ist, wäre es doch in gewissem Sinne - so hätte ich das jetzt jedenfalls gedeutet - "Kommunikation über Kommunikation". Und das korrespondiert, hätte ich jetzt eigentlich vermutet, gerade schön damit, dass das hiesige Thema mit der Systemtheorie, also der Beschreibung des Systems selbst, in gewissem Sinne eine Beobachtung des Systems darstellen müsste (?) Ich glaube ich sehe deinen Punkt mit der fehlenden Metaebene, aber das Beschriebene scheint mir ebenfalls sehr gut aufzugehen :/. (Vielleicht könnte man sagen, dass die Metaebene für Kommunikation "pseudo" ist und über Sinnform realisiert wird, oder irgend so etwas?)


    Ah, ich glaube zu verstehen, was Du meinst. Wir beobachten den Beobachter der modernen Gesellschaft, Niklas Luhmann, der seine Beobachtungen schriftlich fixiert hat, so daß wir sie überhaupt erst beobachten können. Und unsere Beobachtungen legen wir wiederum schriftlich nieder, was Anschlußkommunikation erzeugt. Insofern liegt Kommunikation über Kommunikation vor.

    Jetzt wäre die Frage: ist die Kommunikation über Kommunikation etwas anderes, etwas „Höherrangiges“, etwas, das einen anderen Stellenwert hat, weil es eine Meta-Kommunikation ist?
    :/


  • Ah, ich glaube zu verstehen, was Du meinst. Wir beobachten den Beobachter der modernen Gesellschaft, Niklas Luhmann, der seine Beobachtungen schriftlich fixiert hat, so daß wir sie überhaupt erst beobachten können. Und unsere Beobachtungen legen wir wiederum schriftlich nieder, was Anschlußkommunikation erzeugt. Insofern liegt Kommunikation über Kommunikation vor.

    Jetzt wäre die Frage: ist die Kommunikation über Kommunikation etwas anderes, etwas „Höherrangiges“, etwas, das einen anderen Stellenwert hat, weil es eine Meta-Kommunikation ist?
    :/

    Ja, vom Prinzip her.
    Vom Bauchgefühl her hätte ich es nicht "höherrangig" betrachtet, traue mir aber keine Analyse zu. Ich beisse glaube ich noch etwas an diesen Zusammenhängen zwischen Sinn und Kommunikation als Operation. Zum Beispiel gerade das Ganze um "Beobachter ist das ausgeschlossene Dritte", resp. "Beobachtung ist blinder Fleck". Intuitiv ist mir einleuchtend, was gemeint ist, aber die genauen Zusammenhänge und Mechanismen sind mir irgendwie nicht restlos klar.

  • Jetzt wäre die Frage: ist die Kommunikation über Kommunikation etwas anderes, etwas „Höherrangiges“, etwas, das einen anderen Stellenwert hat, weil es eine Meta-Kommunikation ist?

    selbstverständlich ist sie das. Das nennt sich dann aber analytische Philosophie und ist die Differenz von Meta- und Objektsprache.


    Kommunikation über Kommunikation im Sinne Luhmann ist selbstverständlich wieder Kommunikation. Aber diese geschieht dann metasprachlich und im Rahmen des Korsetts der "Propositionalen Einstellung".

  • Ich lese nebenher sporadisch "Niklas Luhmann - beobachtet" von Peter Fuchs. Darin kommt scheinbar ein ähnlicher Punkt bezüglich "Beobachtung höherer Ordnung" vor, wie ihn Nauplios bezüglich "Kommunikation über Kommunikation" geäussert hatte (ist in der Form eines Dramas geschrieben):

    Quote from Niklas Luhmann - beobachtet

    Siebenschwan:
    Aber recht haben Sie. Die Beobachtung zweiter Ordnung muss gleichsam mit einigen Unterscheidungen jonglieren. Und dazu gehört mindestens, wie Sie es schon sagten, die Unterscheidung zwischen dem beobachteten Beobachter und seinem 'Beobachtungsobjekt' und, dass der Beobachtung zweiter Ordnung die Beobachtungsoperation, die er beobachtet, von anderen Vorkommnissen unterscheiden kann.

    Dr. Hasso Beben:
    Dann gibt es also, wenn ich das richtig verstehe, mehrere Typen von Beobachtung, und Sie haben uns die Definition der Beobachtung gehobener Ordnung vorenthalten?

    Siebenschwan:
    Nein ... Beobachtung bleibt Beobachtung, bleibt Bezeichnung einer Unterscheidung. Die Dinge liegen subtiler, als Sie denken.

    Es wird, nach meinem Verständnis, rund um diesen Abschnitt, diskutiert, dass Beobachtung letztlich immer einfach Beobachtung bleibt und dass "höhere Ordnung" nur mit den verwendeten Unterscheidungen zu tun hat. Siebenschwan dann nochmals in der weiteren Folge:
    "Ich habe gesagt, dass wir es mit dem Zwei = Eins-Problem zu tun bekommen. Gemeint ist damit, und das ist ungemein wichtig, dass alle Beobachtung, gleich welcher Ebene, immer Beobachtung ist, also eine basale Operation, die geschieht ... "

    Also "die Dinge liegen subtiler" :).

  • Beobachtungen sind ja grundsätzlich Beobachtungen eines Systems; es sind Operationen, die auf Unterscheidungen beruhen, wobei das Unterschiedene zugleich bezeichnet wird. Beobachtung ist die Einheit der Differenz von Unterscheidung und Bezeichnung. Es wird also nicht zunächst unterschieden und dann bezeichnet, sondern unterschieden und zugleich bezeichnet.

    Der Beobachter (das beobachtende System) kann aber die Einheit der Unterscheidung, mit der er beobachtet, nicht beobachten. Das kann aber ein Beobachter des Beobachters (Beobachtung zweiter Ordnung), aber eben nur wieder mit Hilfe einer Unterscheidung, deren Einheit dieser Beobachter des Beobachters nicht beobachten kann.

    Es gibt also durchaus den Beobachter zweiter (und auch dritter Ordnung), der aber deshalb kein Beobachter „höherer“ Ordnungist, weil auch die Beobachtung zweiter Ordnung letztlich eine Beobachtung erster Ordnung ist. Es gibt keine privilegierte Beobachtung - welcher Ordnung auch immer.

    Das ist eine klare Absage an „kritische“ Gesellschaftstheorien, die für sich die Exklusivität einer „höheren“ Einsicht in Anspruch nimmt, sei es durch Klassenbewußtsein, durch Utopien, durch Aufklärung, durch Vernunft, durch Offenbarung oder was auch immer. Und es ist zugleich der Verzicht der Systemtheorie, für die Gesellschaft Ziele zu definieren (Gerechtigkeit, Partizipation, herrschaftsfreie Diskurse, Klimaneutralität, moralische Integrität o.ä.).

  • „Form ist gerade die Unterscheidung selbst, indem sie die Bezeichnung (und damit die Beobachtung) der einen oder der anderen Seite erzwingt und die eigene Einheit (…) gerade deshalb nicht selber realisieren kann. Die Einheit der Form ist nicht ihr ˋhöherer´ geistiger Sinn. Sie ist vielmehr das ausgeschlossene Dritte, das nicht beobachtet werden kann, solange man mit Hilfe der Form beobachtet.“ (Niklas Luhmann; Die Gesellschaft der Gesellschaft; S. 61f)

    Beobachtet werden kann dieses „ausgeschlossene Dritte“ nur durch eine Beobachtung zweiter Ordnung. Der „Preis“ dafür ist, daß auch diese Beobachtung zweiter Ordnung die „eigene Einheit nicht selber realisieren kann“, weil auch sie ihre Einheit der Form als ihr „ausgeschlossenes Drittes“ nicht beobachten kann.

    Bei Hegel ist das anders. Da gibt es auf jeder „Stufe“ (der dialektische Dreischritt macht´s möglich) gleichsam ein neues, „höheres“ Erkenntnisplateau … bis hin zum absoluten Wissen.

    „Durch die Beobachtung einerseits findet es das Dasein als Gedanken und begreift dasselbe, und umgekehrt in seinem Denken das Dasein. Indem es so zunächst die unmittelbare Einheit des Denkens und Seins, des abstrakten Wesens und des Selbsts, selbst abstrakt ausgesprochen und das erste Lichtwesen reiner, nämlich als Einheit der Ausdehnung und des Seins – denn Ausdehnung ist die dem reinen Denken gleichere Einfachheit, denn das Licht ist – und hiermit im Gedanken die Substanz des Aufgangs wieder erweckt hat, schaudert der Geist zugleich von dieser abstrakten Einheit, von dieser selbstlosen Substantialität zurück und behauptet die Individualität gegen sie.“ (Hegel; Phänomenologie des Geistes; S. 586 - Hervorhebungen von mir)

    Vor so viel Aufhebens schauert der systemtheoretische Geist zurück. :)

  • Die Frage ist m.e. worauf das Beobachten bezug nimmt. Meines erachtens könnte man hier die beiden Seiten sehen: 1. Sozialgefüge und 2. Institutionengefüge.

    Die Beobachtungen 1. und 3. Ordnung beziehen sich auf das Institutionengefüge, die der 2. Ordnung beziehen sich auf das Sozialgefüge.

    Man kann dann dem Institutionengefüge die Verhaltensebene und die Sprechakte zuordnen, denn dieses stellt sich dar in den Institutionen und in dem normierten Verhalten, welches aus den Institutionen als Sittlichkeit (oder blinde Regel) entspringt. Es findet sich darin der Mensch in der "natürlichen" und "organischen" Ordnung. Es verbleibt regional und lokal - oder wird transzendental (ohne das Transzendentale bringt die 3. Ordnung keinen Sinn m.e.; weswegen es latent notwendig zugegen ist bei der Beobachtung 3. Ordnung)

    Das Sozialgefüge hingegen beinhaltet die eher mechanische und "künstelnde" Ebene, sowie die Massenmedien und eine "Gegenwart" in ihrer Dynamik als Komplexität der sozialen Systeme (Kosmopolitismus, Soziologie als "allgemeine Soziologie").


    Die Beobachtungsebenen sind dann zwar formal gleichberechtigt; aber sie speisen sich aus unterschiedlichen Betrachtungen.

    Beobachtung 1. Ordnung beobachtet die Lebenswelt mit den natürlichen Institutionengefügen (Nationalstaaten und deren historische Kulturalität). Der Telos ist hier egoistisch.

    --> Dies ist normalerweise die Ebene die "Handelnd" oder "praktisch" erlebt und erfahren wird.

    Beobachtung 2. Ordnung beobachtet nun ebenso die Lebenswelt. Diese jedoch nicht mehr in ihrer historischen Relativität, sondern in einer künstlichen Idee, in der sich ein Sozialgefüge zeigt (eher noch, jedenfalls m.e., als ein "Weltgeist"). Diese Ebene ist global und bezieht sich auf das Ziel der Einheit einer Weltgesellschaft. Der Telos ist hier kollektiv.

    --> Dies ist eine Ebene, in der "empirische Urteile" möglich sind, sowie teleologische Urteile schließbar sich zeigen lassen.

    Beobachtung 3. Ordnung beobachtet nun nicht mehr direkt die Lebenswelt. Vielmehr finden sich hier wissenschaftlich legitime Verallgemeinerungen bzgl. Verhalten oder Psyche. Normalerweise findet sich diese Dimension analytisch mittels einer Sprechakttheorie oder transzendental; d.h. aber aus einem "in-sich-sein" des Beobachters und einem Schluss, der von sich auf ein allgemeines Verhalten (also ethologisch) schließt. Die Beobachtung ist sozusagen tendenziell metaphorisch, sofern man Luhmanns Theorie nicht isoliert betrachten möchte.


    Interessant ist, dass Watzlawick noch eine Beobachtung 4. Ordnung einführt, die aber explizit pathologische Sichtweisen einbegreift.

  • Bin per Zufall über eine Passage zu "Kommunikation über Kommunikation" gestolpert, ich verstehe da ein, zwei Dinge nicht so ganz:

    Quote from GdG (S.77f)

    Mit der laufend reproduzierten Unterscheidung von Information und Mitteilung kann ein soziales System sich selbst beobachten. Ein Beobachter dieses Beobachtens, ein Beobachter zweiter Ordnung (zum Beispiel das Sozialsystem Wissenschaft) kann außerdem Themen und Funktionen der Kommunikation unterscheiden und damit Bedingungen der Wiederholbarkeit von Operationen (hier: Kommunikationen ) beobachten. Themen ermöglichen die Unterscheidung von Themen und Beiträgen, also von Strukturen und Operationen, die dann an der Innenseite der Grenze zur Umwelt haften. Das erlaubt eine sequentielle Ordnung der Kommunikation und führt zu einem nach Themen gegliederten, gleichsam lokal (»topisch«) geordneten Gedächtnis. Funktionen beziehen sich dagegen auf die Autopoiesis des Systems und die dazu nötige Reproduktion, Änderung oder Neuentwicklung von Strukturen. In der Kommunikation über Kommunikation können dann auch noch Themen und Funktionen der Kommunikation zum Thema werden - ein re-entry der Unterscheidung in sich selbst. Und damit schließt sich das System auf reflexiver Ebene, erreicht also den Zustand doppelter Schließung, der hohe interne Flexibilität garantiert, aber auch Intransparenz für jeden Beobachter aufzwingt.

    1. Das "...an der Innenseite der Grenze zur Umwelt haften", wie glaubt ihr ist das zu verstehen? Er spricht im Zusammenhang mit "Kreuzen", dem "Hineinkopieren" von Potentialität in die Aktualität und ähnlichen re-entry-Situationen häufig von "Vorselektion" oder "Vororientierung" bei diesem Vorgang, was er soweit einleuchtend weiter beschrieben hat. Das "Strukturen die an der Innenseite haften" hätte ich jetzt in diesem Kontext gedeutet: Ist das als eine Art "Filter" während des Kreuzens, des re-entry, zu verstehen, der sozusagen entsprechende Wahrscheinlichkeitsverteilungen (=Vorselektion, Vororientierung) für Anschlusskommunikation festsetzt? In dieser Weise hätte ich jetzt "Struktur" (resp. "Thema") gedeutet: Auf ein "Ich liebe dich" ist wohl die Wahrscheinlichkeit für eine Antwort wie "Gestern wurde in Chengdu ein neuer Bürgermeister gewählt" äusserst gering, wird bezüglich Wahrscheinlichkeiten quasi "rausgefiltert", das Thema war gerade etwas anderes ("sequentielle Ordnung der Kommunikation"). Ich hätte gesagt, dass diese Interpretation auch zur Beobachtung zweiter Ordnung passt, bin mir aber überhaupt nicht sicher.
    2. Das "doppelte Schliessung" bezüglich "reflexiber Ebene" verstehe ich gar nicht :/. Geht es da - "reflexiver Ebene" - um die Beobachtung zweiter Ordnung? Das wäre doch aber ohnehin klar, warum dann "doppelt geschlossen"? Oder geschlossen bezüglich Thema und Funktion? Das schiene mir aber gerade auch nicht sinnvoll.
  • Das "...an der Innenseite der Grenze zur Umwelt haften", wie glaubt ihr ist das zu verstehen? Er spricht im Zusammenhang mit "Kreuzen", dem "Hineinkopieren" von Potentialität in die Aktualität und ähnlichen re-entry-Situationen häufig von "Vorselektion" oder "Vororientierung" bei diesem Vorgang, was er soweit einleuchtend weiter beschrieben hat. Das "Strukturen die an der Innenseite haften" hätte ich jetzt in diesem Kontext gedeutet: Ist das als eine Art "Filter" während des Kreuzens, des re-entry, zu verstehen, der sozusagen entsprechende Wahrscheinlichkeitsverteilungen (=Vorselektion, Vororientierung) für Anschlusskommunikation festsetzt? In dieser Weise hätte ich jetzt "Struktur" (resp. "Thema") gedeutet: Auf ein "Ich liebe dich" ist wohl die Wahrscheinlichkeit für eine Antwort wie "Gestern wurde in Chengdu ein neuer Bürgermeister gewählt" äusserst gering, wird bezüglich Wahrscheinlichkeiten quasi "rausgefiltert", das Thema war gerade etwas anderes ("sequentielle Ordnung der Kommunikation"). Ich hätte gesagt, dass diese Interpretation auch zur Beobachtung zweiter Ordnung passt, bin mir aber überhaupt nicht sicher.

    Später im Text schreibt er nach meinem Verständnis nochmals über diese Funktion der Kommunikation:

    Quote from GdG (S.94)

    Alle Operationen (Kommunikationen) haben mithin eine Doppelfunktion: Sie legen (i) den historischen Zustand des Systems fest, von dem dieses System bei den nächsten Operationen auszugehen hat. Sie determinieren das System als jeweils so und nicht anders gegeben. Und sie bilden (2) Strukturen als Selektionsschemata, die ein Wiedererkennen und Wiederholen ermöglichen, also Identitäten (oft sagt ma n im Anschluß an Piaget auch: Invarianzen) kondensieren und in immer neuen Situationen konfirmieren, also generalisieren.

    "...bilden Strukturen als Selektionsschemata..." scheint mir die obige Darstellung also soweit zu bestätigen. (D.h. womöglich ist meine Wortwahl, "Wahrscheinlichkeitsverteilung", "Filter") nicht sehr gut, aber mir ginge es um die Vorstellung davon, was da genau für ein Mechanismus abläuft).
    Andererseits geht es hier um "Identität kondensieren", also gerade nicht das Kreuzen :/.

  • Andererseits geht es hier um "Identität kondensieren", also gerade nicht das Kreuzen

    Durch das stete Kreuzen, also das immer-wieder-aktualisieren des Dinges in Angesicht seines Zeichens (bspw. "Buch" für Buch) und seines Kommunikateurs (Mensch), führt zur Stabilisierung der Gegenstände, also dazu, dass sich ihre Identität durch die Zeit hindurch kondensiert.

    Ein Buch ist eben ein Buch ist weiterhin ein Buch; solange sich die Codes nicht ändern (also Buch nicht plötzlich Chub heißt).


    Identität ist hier als Sich-selbst-Gleichheit, also logische Identität zu verstehen. Nicht die Identität einer Person mit seinem vollen, ausgebreiteten Charakter und Temperament.

  • Durch das stete Kreuzen, also das immer-wieder-aktualisieren des Dinges in Angesicht seines Zeichens (bspw. "Buch" für Buch) und seines Kommunikateurs (Mensch), führt zur Stabilisierung der Gegenstände, also dazu, dass sich ihre Identität durch die Zeit hindurch kondensiert.

    Hm, auf sowas wäre ich bisher noch nicht gestossen und bezüglich meines aktuellen Kenntnisstandes würde ich ehrlich gesagt denken, dass diese Darstellung nicht im Sinne der Theorie wäre. Siehe zum Beispiel hier (fett von mir), Kreuzen ist doch ja gerade nicht Identität bestätigen:

    Quote from GdG (S.61)

    Kreuzen ist kreativ. Denn während die Wiederholung einer Bezeichnung nur deren Identität bestätigt (und wir werden später sagen: deren Sinn in verschiedenen Situationen testet und damit kondensiert), ist das Hin- und Herkreuzen keine Wiederholung und kann daher auch nicht zu einer einzigen Identität zusammengezogen werden. Das ist nur eine andere Version für die Einsicht, daß eine Unterscheidung sich bei ihrem Gebrauch nicht selbst identifizieren kann. Und eben darauf beruht, wie wir am Beispiel der binären Codierung ausführlich zeigen werden, die Fruchtbarkeit des Kreuzens. (Gesellschaft der Gesellschaft (S.61))

    Oder hab ich dich da irgendwie missverstanden?

  • Oder hab ich dich da irgendwie missverstanden?

    ah okay. Nein, das ist dann richtig. Ich würde aber meinen, dass er dieses Kreuzen zu einer Art Entität zunächst formen muss, um dann sagen zu können, dass diese Identität aus dem "hin-und-her" nicht möglich ist.

    Ist auch schon 14 Jahre her, seit ich Luhmann las :P

  • "...bilden Strukturen als Selektionsschemata..." scheint mir die obige Darstellung also soweit zu bestätigen. (D.h. womöglich ist meine Wortwahl, "Wahrscheinlichkeitsverteilung", "Filter") nicht sehr gut, aber mir ginge es um die Vorstellung davon, was da genau für ein Mechanismus abläuft).

    Noch mehr Stellen zu diesem Thema:

    Quote from Soziale Systeme (S.94)

    Andererseits reformuliert jeder Sinn den in aller Komplexität implizierten Selektionszwang, und jeder bestimmte Sinn qualifiziert sich dadurch, daß er bestimmte Anschlußmöglichkeiten nahelegt und andere unwahrscheinlich oder schwierig oder weitläufig macht oder (vorläufig) ausschließt.

    Quote from GdG (S.190)

    Das heißt vor allem: daß der Anschluß von Kommunikation an Kommunikationen nicht willkürlich, nicht zufällig geschehen kann, denn sonst wäre Kommunikation für Kommunikation nicht als Kommunikation erkennbar. Es muß erwartungsleitende Wahrscheinlichkeiten geben, anders ist die Autopoiesis der Kommunikation nicht möglich.

    Also ich glaube doch wieder "Wahrscheinlichkeitsverteilung" und "Filter" waren gute Beschreibungen.
    Das "Identitäten" bezog sich wohl nicht auf das von Spencer Brown übernommene, zu "Kreuzen" sozusagen duale, "Kondensieren", wie es im Text auch schon verwendet wurde, sondern auf über der evolutionären Entwicklung konstant Gebliebenes - "Invarianzen", wie Luhmann eigentlich in der Klammer schrieb, ich aber zu wenig Beachtung schenkte. Passt dann mMn auch mit dem "nach Themen gegliedertem Gedächtnis" aus Post #13.

  • Das ist eine klare Absage an „kritische“ Gesellschaftstheorien, die für sich die Exklusivität

    Als ich das in der Form gelesen hatte, war mir klar, wie ich das Zusammenwirken von System, Form, Referenz, Kommunikation, Beobachter zu verstehen habe.

    Ich kann in der praktischen Anwendung sozusagen Momentaufnahmen von sozialen System machen, Dynamiken, Tendenzen analysieren, die Gesellschaft kartieren. Quasi ein Wettermodell für soziale Systeme.

    Wenn zum Beispiel eine Kommunikation nicht mehr auf sich verwiese, ihren autopoietischen Charakter verlöre, und zum Beispiel auf Beobachter verwiese, ist möglich, daß das soziale System dieser Kommunikation, auf Lösungssuche für ein Problem ist, oder sich vor Systemfremden Lösungen zu schützen sucht. Bei Verweis der Kommunikation auf eine Kommunikation eines anderen Systems, besteht die Möglichkeit eines Lösungsansatzes, oder Annäherungsmöglickeit, was die entsprechende Relation(?) Form verkleinerte. Bei Verweis auf Subsystemkommunikation ist der Versuch des Aufzeigens eines Problems denkbar, oder ein emergenzverstärkender Prozess liegt vor.

    Ich denke, das stimmt so in etwa.

    Is' was, is' auch was, was nich' das is'.

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