Verhältnismässig

  • Was genau kritisierst du?
    Wohl nicht den Zettel selbst, oder doch?
    Dass jemand den Zettel fotografiert hat?
    Dass er das Foto allgemeiner zugänglich gemacht hat?
    Dass Leute darauf so reagieren?
    Dass dies alles so präsentiert wird in der Zeitung?


    Also was genau sollte wer anders machen?

    Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
    Folgerung: Philosophie, die den Menschen ignoriert, macht einen Fehler.
    Zweite Folgerung: Man sollte den Menschen in fast jeden Zusammenhang gedanklich mit einbeziehen.


    Ergänzende Hoffnung: Möge es einmal eine allgemeine KI geben, die die menschlichen Fehler zumindest teilweise auffangen und zur Korrektur beitragen kann.

  • Was genau kritisierst du?
    Wohl nicht den Zettel selbst, oder doch?
    Dass jemand den Zettel fotografiert hat?
    Dass er das Foto allgemeiner zugänglich gemacht hat?
    Dass Leute darauf so reagieren?
    Dass dies alles so präsentiert wird in der Zeitung?


    Also was genau sollte wer anders machen?

    Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
    Folgerung: Philosophie, die den Menschen ignoriert, macht einen Fehler.
    Zweite Folgerung: Man sollte den Menschen in fast jeden Zusammenhang gedanklich mit einbeziehen.


    Ergänzende Hoffnung: Möge es einmal eine allgemeine KI geben, die die menschlichen Fehler zumindest teilweise auffangen und zur Korrektur beitragen kann.

  • Ich meine die Verhältnismässigkeit!

    Zitat

    ".... Dann rollte die Empörungswalze an. Die stellvertretende israelische Aussenministerin wandte sich an den israelischen Botschafter in der Schweiz. Dieser intervenierte beim Aussendepartement. Und so bekam Ruth Thomann am Montag einen Anruf eines Diplomaten aus der Bundesverwaltung. Er wollte wissen, was passiert sei. Die Frau hat eingesehen, dass sie einen Fehler gemacht hat. Sie hat sich entschuldigt. Es war zu spät. ..."

  • Ich meine die Verhältnismässigkeit!

    Zitat

    ".... Dann rollte die Empörungswalze an. Die stellvertretende israelische Aussenministerin wandte sich an den israelischen Botschafter in der Schweiz. Dieser intervenierte beim Aussendepartement. Und so bekam Ruth Thomann am Montag einen Anruf eines Diplomaten aus der Bundesverwaltung. Er wollte wissen, was passiert sei. Die Frau hat eingesehen, dass sie einen Fehler gemacht hat. Sie hat sich entschuldigt. Es war zu spät. ..."

  • Ich meine die Verhältnismässigkeit!

    Ja, aber welche genauer, war die Frage!


    Zitat

    Ah ha, die Ausbreitung ist der Politik also wohl vor allem.
    Tja, da wurde offensichtlich stückweise etwas aufgebauscht, weil nicht genauer hinterfragt wurde, typisch heutzutage...

    Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
    Folgerung: Philosophie, die den Menschen ignoriert, macht einen Fehler.
    Zweite Folgerung: Man sollte den Menschen in fast jeden Zusammenhang gedanklich mit einbeziehen.


    Ergänzende Hoffnung: Möge es einmal eine allgemeine KI geben, die die menschlichen Fehler zumindest teilweise auffangen und zur Korrektur beitragen kann.

  • Ich meine die Verhältnismässigkeit!

    Ja, aber welche genauer, war die Frage!


    Zitat

    Ah ha, die Ausbreitung ist der Politik also wohl vor allem.
    Tja, da wurde offensichtlich stückweise etwas aufgebauscht, weil nicht genauer hinterfragt wurde, typisch heutzutage...

    Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
    Folgerung: Philosophie, die den Menschen ignoriert, macht einen Fehler.
    Zweite Folgerung: Man sollte den Menschen in fast jeden Zusammenhang gedanklich mit einbeziehen.


    Ergänzende Hoffnung: Möge es einmal eine allgemeine KI geben, die die menschlichen Fehler zumindest teilweise auffangen und zur Korrektur beitragen kann.

  • Antisemitismus: «Ein äusserst effektiver Knüppel»


    «Antisemitismus» zu rufen, wenn ein Hotel in Arosa sich in verletzendem Ton an seine jüdischen Gäste wendet, ist zu einfach. Die zunehmende Judenfeindlichkeit in den USA zu verurteilen, ist schwieriger. Aber dringender.
    von Deborah Feldmann 19.8.2017
    https://nzzas.nzz.ch/hintergru…borah-feldmann-ld.1311658
    Dieses Schild in einem Aroser Hotel, das die jüdischen Gäste vor dem Besuch des Pools zum Duschen ermahnt, hat international für grosse Empörung gesorgt.


    Ich war einst eine chassidische* Hausfrau in New York, die, 19-jährig mit einem Baby auf dem Arm, zum Telefon griff und die Polizei anrief, um mich über einen Nachbarn zu beschweren. Dieser war panisch in die Bremsen getreten, als er in einer schwer einsehbaren Kurve meinen Kinderwagen stehen sah, und er hatte mich hysterisch angeschrien: «Was ist nur mit euch allen los? Warum müsst ihr immer eure Sachen auf der Strasse stehen lassen?»Er hatte «euch allen» gesagt, erklärte ich dem Polizisten, also eindeutig ein Fall von Antisemitismus.


    Ich war gut darin geschult, Antisemitismus zu erkennen und zu brandmarken, war ich doch gezeichnet von einer Kindheit voller Indoktrination, die mir eine schwarz-weisse Weltsicht eingeimpft hat. Für uns galt unverbrüchlich: Alle Nichtjuden - ausgenommen von diesem Absolutismus war nur, wer uns bedingungslos zur Seite stand - sind Antisemiten.Denn schliesslich waren «sie» es, die an uns die schlimmste Verfolgung aller Zeiten verübt hatten, und damit waren sie die ewig Schuldigen. Hätte man mir damals gesagt, dass die Welt auch anders sein könnte, ich hätte dies nicht gern in Betracht gezogen.


    Seit acht Jahren bin ich keine chassidische Hausfrau mehr. Ich hatte Zeit, zu lernen, die Welt mit anderen Augen zu betrachten. Aber ich erinnere mich sehr genau daran, was es hiess, auf der anderen Seite dieser unsichtbaren Grenze zu stehen. An die Art und Weise, wie ich die Aussenwelt betrachtete, wie für uns die in ihr lebenden Menschen nur existierten, wenn sie eine uns dienliche Rolle erfüllten, aber schlagartig zu Feinden wurden, sobald sie uns im Wege standen. Denn wir hatten einen «Glücksfall» erlebt - Hitler, der Erzfeind, war zum universellen Verbrecher erklärt worden. Und so mussten wir nur seinen Namen ausrufen und mit ihm den Namen der Ideologie, für die er stand, und schon war uns ein äusserst effektiver Knüppel zur Hand, eine neuartige und berauschende Macht, mit der wir einfach alles aus dem Weg räumen konnten, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Im Übrigen, so schlussfolgerten wir, wenn uns schien, dass die Logik nicht ganz stichhaltig klang: Sie waren es uns schuldig.


    Meine erste Reaktion auf das Schild aus dem Aroser Hotel, das jüdische Gäste explizit zum Duschen vor dem Schwimmen aufforderte, war Empörung. Wut. Entrüstung. Denn dieses Schild ist in seiner Formulierung, kennt man den genauen Zusammenhang nicht, widerwärtig - das will und kann ich nicht abstreiten. Meine Freundin jedoch, die mir die Foto des Schildes geschickt hatte - selbst eine säkulare Jüdin -, war weniger gewillt, die Foto entsprechend den ersten Schlagzeilen zu interpretieren. Sie forschte nach, regte mich an, es auch zu tun. Nach wenigen Stunden, als wir mehr über die Entstehungsgeschichte erfahren hatten, veränderte sich auch unsere Wahrnehmung des Bildes.


    In einer Schweizer Zeitung war zu lesen, ein aus Israel kommender, ehemaliger Stammgast des Hotels habe versichert, die Verantwortliche des Hotels sei keineswegs antisemitisch. Da musste ich aufhorchen. Und als ich begriff, worum es sich wirklich handelte, bekam ich einen flauen Magen. Denn zu diesem Zeitpunkt war der Knüppel bereits hervorgeholt worden. Ich las in den Zeitungen, was die üblichen Verdächtigen forderten: Simon Wiesenthal die Schliessung des Hotels, sein Direktor für Internationale Beziehungen Untersuchungen und juristische Schritte, Israels Aussenministerin Ermittlungen gegen die Verfasserin des Schildes wegen Hasskriminalität.


    In der öffentlichen Wahrnehmung war die arme, naive Frau bereits zum Nazi abgestempelt worden


    In der öffentlichen Wahrnehmung war die arme, naive Frau bereits zum Nazi abgestempelt worden - ja im Grunde waren es alle Schweizer. Diese Foto hatte es endgültig und umfassend bestätigt. Als meine Freundin auf Facebook eine etwas differenziertere Sicht vorschlug, wurde sie prompt als Person denunziert, die den Antisemiten Nahrung bietet. Der Knüppel, das sei nebenbei erwähnt, ist keineswegs nur für Nichtjuden bestimmt.


    Ich hatte den Knüppel schon zuvor in Aktion gesehen. Und ich hatte gelernt, dass meine chassidische Gemeinde keineswegs das Monopol auf ihn hat - selbst säkulare Juden holen ihn dankbar hervor, auch wenn sie damit ein Segment ihrer Gesellschaft decken, mit dem sie nicht nur nicht übereinstimmen, sondern für das sie häufig persönlich Scham empfinden. Und doch wollen sie, übrigens oft dieselben, die muslimische Mitbürger aufgrund ihrer Behandlung von Frauen kritisieren, nicht sehen, was im Namen ihrer eigenen ethnischen Identität an Unrecht geschieht. Lieber holen sie den Knüppel hervor.


    Wir hatten in Erfahrung gebracht, dass in Arosa offenbar Mitglieder der chassidischen Gemeinde einen Pool nutzten, ohne die geltende Regel, zuvor zu duschen, befolgen zu wollen. Warum? Die Erklärung ist einfach: Chassidische Männer nutzen ausschliesslich das rituelle Bad als spirituelle Reinigung. Man taucht in das heilige Wasser ein und ist mit diesem Vorgang gereinigt. So ging mein Grossvater, wie alle anderen Männer meiner Familie auch, täglich ein- oder sogar zweimal zur Mikwe, zum rituellen Bad, da sie glaubten, diese Form der Hygiene habe uns Juden im Mittelalter selbst vor der Pest geschützt. So habe ich niemals einen Mann aus meiner Familie zum Duschen gehen sehen. Warum also sollten diese Männer nun der Aufforderung einer Nichtjüdin Genüge tun, wo ihnen das Duschen doch wesentlich fremd war?


    Allgemein wird in einem Hotel von allen Gästen eine gewisse Anpassung erwartet. So funktioniert gesellschaftliches Zusammensein.


    Allgemein wird in einem Hotel wie an fast allen mehr oder weniger öffentlichen Orten von allen Gästen eine gewisse Anpassung erwartet. So funktioniert gesellschaftliches Zusammensein. Niemand ist gezwungen, sich in einem Hotel aufzuhalten, dessen Regeln ihm zuwiderlaufen. Betreten aber Chassidim einen hoteleigenen Pool, so tun sie dies mit dem Selbstverständnis, dass keine einzige Regel der Aussenwelt für sie Gültigkeit besitzt: Von Relevanz sind für sie allein die von Rabbinern erlassenen Regelwerke. Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, war es notwendig, die Chassidim explizit anzusprechen, was die Frau zuvor mehrmals und auf verschiedene Weise getan hatte. Das Problem war dabei nie, den chassidischen Juden erklärt zu haben, dass sich alle an das dort geltende Regelwerk anzupassen hätten - das Problem war die Verwendung der Worte «Juden» und «duschen».


    Das Schild war in seiner Form dumm, naiv und beleidigend. Und doch kann ich mich in diese Frau hineinversetzen. Ich erinnere mich an den panischen Blick einer Stewardess, als sie sich mit wütenden chassidischen Männern konfrontiert sah, die ihre Plätze wechseln wollten, um nicht neben Frauen sitzen zu müssen. Es ist der Blick eines in die Falle gelaufenen Tieres. Und gefangene Tiere beissen.

  • Antisemitismus: «Ein äusserst effektiver Knüppel»


    «Antisemitismus» zu rufen, wenn ein Hotel in Arosa sich in verletzendem Ton an seine jüdischen Gäste wendet, ist zu einfach. Die zunehmende Judenfeindlichkeit in den USA zu verurteilen, ist schwieriger. Aber dringender.
    von Deborah Feldmann 19.8.2017
    https://nzzas.nzz.ch/hintergru…borah-feldmann-ld.1311658
    Dieses Schild in einem Aroser Hotel, das die jüdischen Gäste vor dem Besuch des Pools zum Duschen ermahnt, hat international für grosse Empörung gesorgt.


    Ich war einst eine chassidische* Hausfrau in New York, die, 19-jährig mit einem Baby auf dem Arm, zum Telefon griff und die Polizei anrief, um mich über einen Nachbarn zu beschweren. Dieser war panisch in die Bremsen getreten, als er in einer schwer einsehbaren Kurve meinen Kinderwagen stehen sah, und er hatte mich hysterisch angeschrien: «Was ist nur mit euch allen los? Warum müsst ihr immer eure Sachen auf der Strasse stehen lassen?»Er hatte «euch allen» gesagt, erklärte ich dem Polizisten, also eindeutig ein Fall von Antisemitismus.


    Ich war gut darin geschult, Antisemitismus zu erkennen und zu brandmarken, war ich doch gezeichnet von einer Kindheit voller Indoktrination, die mir eine schwarz-weisse Weltsicht eingeimpft hat. Für uns galt unverbrüchlich: Alle Nichtjuden - ausgenommen von diesem Absolutismus war nur, wer uns bedingungslos zur Seite stand - sind Antisemiten.Denn schliesslich waren «sie» es, die an uns die schlimmste Verfolgung aller Zeiten verübt hatten, und damit waren sie die ewig Schuldigen. Hätte man mir damals gesagt, dass die Welt auch anders sein könnte, ich hätte dies nicht gern in Betracht gezogen.


    Seit acht Jahren bin ich keine chassidische Hausfrau mehr. Ich hatte Zeit, zu lernen, die Welt mit anderen Augen zu betrachten. Aber ich erinnere mich sehr genau daran, was es hiess, auf der anderen Seite dieser unsichtbaren Grenze zu stehen. An die Art und Weise, wie ich die Aussenwelt betrachtete, wie für uns die in ihr lebenden Menschen nur existierten, wenn sie eine uns dienliche Rolle erfüllten, aber schlagartig zu Feinden wurden, sobald sie uns im Wege standen. Denn wir hatten einen «Glücksfall» erlebt - Hitler, der Erzfeind, war zum universellen Verbrecher erklärt worden. Und so mussten wir nur seinen Namen ausrufen und mit ihm den Namen der Ideologie, für die er stand, und schon war uns ein äusserst effektiver Knüppel zur Hand, eine neuartige und berauschende Macht, mit der wir einfach alles aus dem Weg räumen konnten, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Im Übrigen, so schlussfolgerten wir, wenn uns schien, dass die Logik nicht ganz stichhaltig klang: Sie waren es uns schuldig.


    Meine erste Reaktion auf das Schild aus dem Aroser Hotel, das jüdische Gäste explizit zum Duschen vor dem Schwimmen aufforderte, war Empörung. Wut. Entrüstung. Denn dieses Schild ist in seiner Formulierung, kennt man den genauen Zusammenhang nicht, widerwärtig - das will und kann ich nicht abstreiten. Meine Freundin jedoch, die mir die Foto des Schildes geschickt hatte - selbst eine säkulare Jüdin -, war weniger gewillt, die Foto entsprechend den ersten Schlagzeilen zu interpretieren. Sie forschte nach, regte mich an, es auch zu tun. Nach wenigen Stunden, als wir mehr über die Entstehungsgeschichte erfahren hatten, veränderte sich auch unsere Wahrnehmung des Bildes.


    In einer Schweizer Zeitung war zu lesen, ein aus Israel kommender, ehemaliger Stammgast des Hotels habe versichert, die Verantwortliche des Hotels sei keineswegs antisemitisch. Da musste ich aufhorchen. Und als ich begriff, worum es sich wirklich handelte, bekam ich einen flauen Magen. Denn zu diesem Zeitpunkt war der Knüppel bereits hervorgeholt worden. Ich las in den Zeitungen, was die üblichen Verdächtigen forderten: Simon Wiesenthal die Schliessung des Hotels, sein Direktor für Internationale Beziehungen Untersuchungen und juristische Schritte, Israels Aussenministerin Ermittlungen gegen die Verfasserin des Schildes wegen Hasskriminalität.


    In der öffentlichen Wahrnehmung war die arme, naive Frau bereits zum Nazi abgestempelt worden


    In der öffentlichen Wahrnehmung war die arme, naive Frau bereits zum Nazi abgestempelt worden - ja im Grunde waren es alle Schweizer. Diese Foto hatte es endgültig und umfassend bestätigt. Als meine Freundin auf Facebook eine etwas differenziertere Sicht vorschlug, wurde sie prompt als Person denunziert, die den Antisemiten Nahrung bietet. Der Knüppel, das sei nebenbei erwähnt, ist keineswegs nur für Nichtjuden bestimmt.


    Ich hatte den Knüppel schon zuvor in Aktion gesehen. Und ich hatte gelernt, dass meine chassidische Gemeinde keineswegs das Monopol auf ihn hat - selbst säkulare Juden holen ihn dankbar hervor, auch wenn sie damit ein Segment ihrer Gesellschaft decken, mit dem sie nicht nur nicht übereinstimmen, sondern für das sie häufig persönlich Scham empfinden. Und doch wollen sie, übrigens oft dieselben, die muslimische Mitbürger aufgrund ihrer Behandlung von Frauen kritisieren, nicht sehen, was im Namen ihrer eigenen ethnischen Identität an Unrecht geschieht. Lieber holen sie den Knüppel hervor.


    Wir hatten in Erfahrung gebracht, dass in Arosa offenbar Mitglieder der chassidischen Gemeinde einen Pool nutzten, ohne die geltende Regel, zuvor zu duschen, befolgen zu wollen. Warum? Die Erklärung ist einfach: Chassidische Männer nutzen ausschliesslich das rituelle Bad als spirituelle Reinigung. Man taucht in das heilige Wasser ein und ist mit diesem Vorgang gereinigt. So ging mein Grossvater, wie alle anderen Männer meiner Familie auch, täglich ein- oder sogar zweimal zur Mikwe, zum rituellen Bad, da sie glaubten, diese Form der Hygiene habe uns Juden im Mittelalter selbst vor der Pest geschützt. So habe ich niemals einen Mann aus meiner Familie zum Duschen gehen sehen. Warum also sollten diese Männer nun der Aufforderung einer Nichtjüdin Genüge tun, wo ihnen das Duschen doch wesentlich fremd war?


    Allgemein wird in einem Hotel von allen Gästen eine gewisse Anpassung erwartet. So funktioniert gesellschaftliches Zusammensein.


    Allgemein wird in einem Hotel wie an fast allen mehr oder weniger öffentlichen Orten von allen Gästen eine gewisse Anpassung erwartet. So funktioniert gesellschaftliches Zusammensein. Niemand ist gezwungen, sich in einem Hotel aufzuhalten, dessen Regeln ihm zuwiderlaufen. Betreten aber Chassidim einen hoteleigenen Pool, so tun sie dies mit dem Selbstverständnis, dass keine einzige Regel der Aussenwelt für sie Gültigkeit besitzt: Von Relevanz sind für sie allein die von Rabbinern erlassenen Regelwerke. Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, war es notwendig, die Chassidim explizit anzusprechen, was die Frau zuvor mehrmals und auf verschiedene Weise getan hatte. Das Problem war dabei nie, den chassidischen Juden erklärt zu haben, dass sich alle an das dort geltende Regelwerk anzupassen hätten - das Problem war die Verwendung der Worte «Juden» und «duschen».


    Das Schild war in seiner Form dumm, naiv und beleidigend. Und doch kann ich mich in diese Frau hineinversetzen. Ich erinnere mich an den panischen Blick einer Stewardess, als sie sich mit wütenden chassidischen Männern konfrontiert sah, die ihre Plätze wechseln wollten, um nicht neben Frauen sitzen zu müssen. Es ist der Blick eines in die Falle gelaufenen Tieres. Und gefangene Tiere beissen.

  • [Fortsetzung des Artikels aus der NZZ am Sonntag: zweiter und letzter Teil]


    Das Schild war furchtbar, ja. Die Hintergrundfakten aber wurden bei der Debatte vertuscht.


    Es ist fatal, in einem Fall wie diesem den Knüppel hervorzuholen. Das Schild war furchtbar, ja. Die Hintergrundfakten aber wurden bei der Debatte vertuscht. Das ist gefährlich, vor allem, da es sich bei Antisemitismus um eine wirkliche Gefahr handelt und es zynisch wäre, dies zu vergessen. Man schreit «Wolf!», wo keiner ist. Und wenn der Wolf dann kommt, will einem niemand mehr glauben. Einige werden sagen, ich sei selbst eine Antisemitin, aber auch sie benutzen den Knüppel nicht, um den legitimen Feind zu besiegen, sondern um sich einen Weg zu bahnen, selbstgerecht, für sich allein. Um ihre eigene Position in der Gesellschaft zu untermauern, um ihre eigene Stimme gehört zu wissen, um persönliche Macht auszuüben. Indem sie dies tun, schwächen sie die Sache, für die sie das Wort zu erheben vorgeben.


    Ich habe einen jüdischen Sohn und denke über die Unvermeidlichkeit nach, dass er eines Tages, wenn er grösser sein wird, zum ersten Mal einem wirklichen Antisemiten begegnet, in einer Situation, in der ich ihn nicht beschützen kann.


    Mir wird schlecht bei der Vorstellung, die Anklage «Antisemitismus» könnte bald schon keine Bedeutung mehr haben.


    Wenn - nicht falls - dies geschieht, so ist das Geringste, was ich mir erhoffe, dass ihn dann Menschen tatsächlich ernst nehmen, ihm Glauben schenken: Wenn aber die üblichen Verdächtigen in einem Fall wie jenem dieser Frau «Boykott» und «Nazi» schreien, wie sollen die Menschen ihm später trauen? Mir wird schlecht bei der Vorstellung, die Anklage «Antisemitismus» könnte bald schon keine Bedeutung mehr haben.


    Durch den reflexhaften und unreflektierten Alarmruf «Antisemitismus» angesichts einer Hoteliersfrau, die auf unbeholfene Weise versucht, die durchaus verständlichen Interessen der Mehrzahl ihrer Gäste und ihre davon abgeleiteten Regeln durchzusetzen, folgen wir Juden einer lächerlichen und abträglichen Pflicht, das perfekte Eigenbild zu pflegen, und verschleiern dabei zwanghaft eigene Makel in unserer Mitte.
    Und indem wir auf der anderen Seite in diesem zweifellos bestehenden Makel in einzelnen Segmenten der Gesellschaft ein Argument für Intoleranz und Ablehnung gegenüber der gesamtem nichtjüdischen Gesellschaft sehen, bestätigen wir nur unsere schlimmsten Befürchtungen über uns selbst; am Ende ist nichts so antisemitisch wie das Unvermögen, unsere eigene Menschlichkeit und damit Fehlbarkeit anzuerkennen und uns mutig mit ihr auseinanderzusetzen, anstatt sofort zum Knüppel zu greifen.


    Deborah Feldmann, 31, wuchs in der chassidischen Gemeinde der Satmarer Juden in New York auf und ging mit 17 eine arrangierte Ehe ein. Anfangs 20 verliess sie die religiöse Gemeinschaft und beschrieb ihre Kindheit im Bestseller «Unorthodox», und im neuen Buch «Überbitten» ihre Ankunft im neuen Leben. Sie lebt heute in Berlin.


    *Der Chassidismus ist eine Variante des ultraorthodoxen Judentums.

  • [Fortsetzung des Artikels aus der NZZ am Sonntag: zweiter und letzter Teil]


    Das Schild war furchtbar, ja. Die Hintergrundfakten aber wurden bei der Debatte vertuscht.


    Es ist fatal, in einem Fall wie diesem den Knüppel hervorzuholen. Das Schild war furchtbar, ja. Die Hintergrundfakten aber wurden bei der Debatte vertuscht. Das ist gefährlich, vor allem, da es sich bei Antisemitismus um eine wirkliche Gefahr handelt und es zynisch wäre, dies zu vergessen. Man schreit «Wolf!», wo keiner ist. Und wenn der Wolf dann kommt, will einem niemand mehr glauben. Einige werden sagen, ich sei selbst eine Antisemitin, aber auch sie benutzen den Knüppel nicht, um den legitimen Feind zu besiegen, sondern um sich einen Weg zu bahnen, selbstgerecht, für sich allein. Um ihre eigene Position in der Gesellschaft zu untermauern, um ihre eigene Stimme gehört zu wissen, um persönliche Macht auszuüben. Indem sie dies tun, schwächen sie die Sache, für die sie das Wort zu erheben vorgeben.


    Ich habe einen jüdischen Sohn und denke über die Unvermeidlichkeit nach, dass er eines Tages, wenn er grösser sein wird, zum ersten Mal einem wirklichen Antisemiten begegnet, in einer Situation, in der ich ihn nicht beschützen kann.


    Mir wird schlecht bei der Vorstellung, die Anklage «Antisemitismus» könnte bald schon keine Bedeutung mehr haben.


    Wenn - nicht falls - dies geschieht, so ist das Geringste, was ich mir erhoffe, dass ihn dann Menschen tatsächlich ernst nehmen, ihm Glauben schenken: Wenn aber die üblichen Verdächtigen in einem Fall wie jenem dieser Frau «Boykott» und «Nazi» schreien, wie sollen die Menschen ihm später trauen? Mir wird schlecht bei der Vorstellung, die Anklage «Antisemitismus» könnte bald schon keine Bedeutung mehr haben.


    Durch den reflexhaften und unreflektierten Alarmruf «Antisemitismus» angesichts einer Hoteliersfrau, die auf unbeholfene Weise versucht, die durchaus verständlichen Interessen der Mehrzahl ihrer Gäste und ihre davon abgeleiteten Regeln durchzusetzen, folgen wir Juden einer lächerlichen und abträglichen Pflicht, das perfekte Eigenbild zu pflegen, und verschleiern dabei zwanghaft eigene Makel in unserer Mitte.
    Und indem wir auf der anderen Seite in diesem zweifellos bestehenden Makel in einzelnen Segmenten der Gesellschaft ein Argument für Intoleranz und Ablehnung gegenüber der gesamtem nichtjüdischen Gesellschaft sehen, bestätigen wir nur unsere schlimmsten Befürchtungen über uns selbst; am Ende ist nichts so antisemitisch wie das Unvermögen, unsere eigene Menschlichkeit und damit Fehlbarkeit anzuerkennen und uns mutig mit ihr auseinanderzusetzen, anstatt sofort zum Knüppel zu greifen.


    Deborah Feldmann, 31, wuchs in der chassidischen Gemeinde der Satmarer Juden in New York auf und ging mit 17 eine arrangierte Ehe ein. Anfangs 20 verliess sie die religiöse Gemeinschaft und beschrieb ihre Kindheit im Bestseller «Unorthodox», und im neuen Buch «Überbitten» ihre Ankunft im neuen Leben. Sie lebt heute in Berlin.


    *Der Chassidismus ist eine Variante des ultraorthodoxen Judentums.

  • Trotz der Gefahr die Sache zu zerreden und besserwissendzu sein,
    möchte ich auf den NZZ-Artikel zurückkommen.Verhältnismässigkeit
    ist kein Tabu und kommt in vielen Gewändern,
    manchmal in des Kaisers neuen Kleider daher.


    Extreme stellen sich in ihrer Scheinheiligkeit selbst anden Pranger
    und überfordern die Passanten auf der Agora.

  • Trotz der Gefahr die Sache zu zerreden und besserwissendzu sein,
    möchte ich auf den NZZ-Artikel zurückkommen.Verhältnismässigkeit
    ist kein Tabu und kommt in vielen Gewändern,
    manchmal in des Kaisers neuen Kleider daher.


    Extreme stellen sich in ihrer Scheinheiligkeit selbst anden Pranger
    und überfordern die Passanten auf der Agora.

  • Trotz der Gefahr die Sache zu zerreden und besserwissendzu sein,
    möchte ich auf den NZZ-Artikel zurückkommen.Verhältnismässigkeit
    ist kein Tabu und kommt in vielen Gewändern,
    manchmal in des Kaisers neuen Kleider daher.

    Selbstgerechtigkeit und Empörung sind lustvolle Empfindungen. Nachrichten wie diese bilden, besonders wenn sie ausreichend kurz und knackig an den Leser weitergegeben werden, ideale Projektionsflächen, auf denen man schreckliche Menschen und Taten erblicken und verachten kann; dank moderner Kommunikationsmittel kann man sie jetzt auch problemlos beschimpfen. Wobei diese Beschimpfungen dann leider nicht nur die eigenen Projektionen sondern auch die realen Menschen dahinter erreichen. Die psychologischen Mechanismen waren zwar prinzipiell schon immer vorhanden und wurden sicher auch früher reichlich genutzt, aber die digitale Welt, ein Multiplikator auch der menschlichen Dummheit, hat die Voraussetzungen für solche Shitstorms massiv begünstigt. Der Pranger ist jetzt auf einem Marktplatz errichtet, der quasi die Welt umspannen kann. Für Verhältnismäßigkeit, oder "Gerechtigkeit" im Sinne Nietzsches, ist in dem Setup nicht wirklich viel Platz.
    (Allerdings muss man der guten Frau schon zugestehen, dass sie, wenn sie wirklich kein Vorurteil gegen Juden hegt, immerhin auch ein wahrlich bestürzend geringes Wissen über die Zeitgeschichte haben muss. Wobei - ich habe sieben Jahre hinter den sieben Bergen in Graubünden gelebt - und in der Hinsicht auch einiges erlebt :) )

    “I feel if you’re going to be canceled, this is the culture to be canceled by,” (Woody Allen)

    inde genus durum sumus, experiensque laborum / et documenta damus, qua simus origine nati. (Ovid)

    In der Philosophie geht es demgegenüber wie in jeder Wissenschaft um Wahrheit. (Ernst Tugendhat)

  • Trotz der Gefahr die Sache zu zerreden und besserwissendzu sein,
    möchte ich auf den NZZ-Artikel zurückkommen.Verhältnismässigkeit
    ist kein Tabu und kommt in vielen Gewändern,
    manchmal in des Kaisers neuen Kleider daher.

    Selbstgerechtigkeit und Empörung sind lustvolle Empfindungen. Nachrichten wie diese bilden, besonders wenn sie ausreichend kurz und knackig an den Leser weitergegeben werden, ideale Projektionsflächen, auf denen man schreckliche Menschen und Taten erblicken und verachten kann; dank moderner Kommunikationsmittel kann man sie jetzt auch problemlos beschimpfen. Wobei diese Beschimpfungen dann leider nicht nur die eigenen Projektionen sondern auch die realen Menschen dahinter erreichen. Die psychologischen Mechanismen waren zwar prinzipiell schon immer vorhanden und wurden sicher auch früher reichlich genutzt, aber die digitale Welt, ein Multiplikator auch der menschlichen Dummheit, hat die Voraussetzungen für solche Shitstorms massiv begünstigt. Der Pranger ist jetzt auf einem Marktplatz errichtet, der quasi die Welt umspannen kann. Für Verhältnismäßigkeit, oder "Gerechtigkeit" im Sinne Nietzsches, ist in dem Setup nicht wirklich viel Platz.
    (Allerdings muss man der guten Frau schon zugestehen, dass sie, wenn sie wirklich kein Vorurteil gegen Juden hegt, immerhin auch ein wahrlich bestürzend geringes Wissen über die Zeitgeschichte haben muss. Wobei - ich habe sieben Jahre hinter den sieben Bergen in Graubünden gelebt - und in der Hinsicht auch einiges erlebt :) )

    “I feel if you’re going to be canceled, this is the culture to be canceled by,” (Woody Allen)

    inde genus durum sumus, experiensque laborum / et documenta damus, qua simus origine nati. (Ovid)

    In der Philosophie geht es demgegenüber wie in jeder Wissenschaft um Wahrheit. (Ernst Tugendhat)

  • Extreme stellen sich in ihrer Scheinheiligkeit selbst anden Pranger und überfordern die Passanten auf der Agora.

    Insbesondere wenn es um Briten und Schweizer geht, weigere ich mich, mit Befindlichkeitsquark zu operieren. Die Freiheit Europas retteten ab 1940 die Briten und nur die Briten, während die Schweizer erstaunlich wenig Groll entwickelten, obwohl ihnen jahrelang eine Pistole an den Kopf gehalten wurde, um sie gefügig zu machen. -- Deutsche sollten, meine ich, ihren Masochismus, sofern sie von ihm nicht lassen mögen, bevorzugt für sich selber verwenden, statt andere damit zu behelligen. Und andere sollten deutschen Masochismus nicht als Inbegriff von Menschenfreundlichkeit missinterpretieren.

  • Extreme stellen sich in ihrer Scheinheiligkeit selbst anden Pranger und überfordern die Passanten auf der Agora.

    Insbesondere wenn es um Briten und Schweizer geht, weigere ich mich, mit Befindlichkeitsquark zu operieren. Die Freiheit Europas retteten ab 1940 die Briten und nur die Briten, während die Schweizer erstaunlich wenig Groll entwickelten, obwohl ihnen jahrelang eine Pistole an den Kopf gehalten wurde, um sie gefügig zu machen. -- Deutsche sollten, meine ich, ihren Masochismus, sofern sie von ihm nicht lassen mögen, bevorzugt für sich selber verwenden, statt andere damit zu behelligen. Und andere sollten deutschen Masochismus nicht als Inbegriff von Menschenfreundlichkeit missinterpretieren.

  • Die NZZ nimmt sich seit längerem in ganzseitigen Artikeln unerschrocken und federführend des Themas an. Die Alte Tante, wie die Neue Zürcher Zeitung oft liebevoll genannt wird, ist Grosse Bühne! Sodass wir quasi Backstage das Rauschen im Blätterwald mithören und kommentieren können. Die Alte Tante lässt hier die Extreme innerhalb religiöser Gemeinschaften zu Wort kommen und tritt nach meinem Verständnis vehement sowohl gegen die Ausgrenzung als auch gegen den Aus- oder Rückzug an und für den verhältnismässig gangbaren Weg ein.

    Für Verhältnismäßigkeit, oder "Gerechtigkeit" im Sinne Nietzsches, ist in dem Setup nicht wirklich viel Platz.

    Dein "Für Verhältnismäßigkeit, oder "Gerechtigkeit" im Sinne Nietzsches, ist in dem Setup nicht wirklich viel Platz." verstehe ich nicht so recht, magst du das bitte für mich noch ein wenig auszuführen.

  • Die NZZ nimmt sich seit längerem in ganzseitigen Artikeln unerschrocken und federführend des Themas an. Die Alte Tante, wie die Neue Zürcher Zeitung oft liebevoll genannt wird, ist Grosse Bühne! Sodass wir quasi Backstage das Rauschen im Blätterwald mithören und kommentieren können. Die Alte Tante lässt hier die Extreme innerhalb religiöser Gemeinschaften zu Wort kommen und tritt nach meinem Verständnis vehement sowohl gegen die Ausgrenzung als auch gegen den Aus- oder Rückzug an und für den verhältnismässig gangbaren Weg ein.

    Für Verhältnismäßigkeit, oder "Gerechtigkeit" im Sinne Nietzsches, ist in dem Setup nicht wirklich viel Platz.

    Dein "Für Verhältnismäßigkeit, oder "Gerechtigkeit" im Sinne Nietzsches, ist in dem Setup nicht wirklich viel Platz." verstehe ich nicht so recht, magst du das bitte für mich noch ein wenig auszuführen.

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