Diese neue Serie des Senders "Showtime", von dem auch "Dexter" und "Homeland" stammen, hat das Zeug zum großen Wurf. In die Sphären von "Mad Men" oder "Breaking Bad" wird sie wohl nicht vordringen, aber wenn "Masters" ein Kinofilm wäre, würde der sicherlich einen oder mehrere Oscars bekommen.
Erzählt wird die Geschichte des berühmten Gynäkologen William Masters und seiner Assistentin und späteren Ehefrau Virginia Johnson. Sie begannen in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts mit der empirischen Erforschung des menschlichen Sexualverhaltens, deren Ergebnisse sie 10 Jahre später in dem epochemachenden Buch "Human Sexual Response" (dt. "Die sexuelle Revolution") vorlegten. (Näheres siehe hier.) Empirische Forschung im Labor ist eine nüchterne, zeitraubende Angelenheit, für die man geeignete Messgeräte braucht und viel trockene Statistik, dazu Ausdauer, Geduld, pedantische Genauigkeit, Selbstbeherrschung. Die methodische Strenge erfordert einen distanzierten, kritischen, objektiven Blick, denn schließlich kann es nicht Sinn der Übung sein, die eigenen Vorurteile und Wunschvorstellungen zu bestätigen. Nun ist aber Sex kein Forschungsgegenstand wie jeder andere. Bei ihm fällt es aus diversen Gründen besonders schwer, den unbestechlich-objektiven Blick auf "die Sache selbst" zu werfen. Es liegt auf der Hand, dass der Forscher hierzu auch einige charakterliche "soft tools" mit ins Labor bringen muss, die a) nicht jedermann gegeben sind und b) ein wenig quer zur Alltagstauglichkeit stehen...
Das sind beste Voraussetzungen für eine witzige, anrührende, spannende Geschichte mit vielerlei dramatischen Verwicklungen, und "Masters of Sex" weiß diese Möglichkeiten beim Schopf zu fassen und auszukosten. Wer nicht zu prüde ist, sich "so etwas" überhaupt anzusehen, wird hier nicht nur bestens unterhalten, sondern auch zu viel Nachdenken und Nachfühlen angeregt werden.
Allein der Titel der Serie ist in seiner schillernden Mehrdeutigkeit schon ein Meisterstück. Zum einen ist "Masters" schlicht der Nachname des männlichen Protagonisten. Aber "Master" ist auch ein akademischer Grad (entspricht dem "Magister"). Während William Masters als berühmter Gynäkologe bereits im Besitz dieses akademischen Ranges ist, liegen die Qualifikationen seiner Assistentin anfangs auf anderem Gebiet. Sie ist akademisch völlig unbeleckt, und muss sich die nötige Kenntnis und Anerkenntnis erst "on the job" aneignen. Für eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern keine ganz leichte Aufgabe - schon gar nicht in den 50er Jahren. - "Master" bedeutet aber auch "Herr", im Sinne von "Herr sein über...". Aber ist Sex etwas, dessen man Herr werden kann? Zu Forschungszwecken sollte man es zumindest versuchen, im Privatleben, unter unmittelbarer leiblicher (!) Betroffenheit, sieht es schon ganz anders aus...
Und damit bin ich auch schon an dem Punkt, der mich veranlasst, diese Serie ausgerechnet in einem Forum für Philosophie zu empfehlen. Denn das zentrale Thema der Serie ist ein wunderbarer Anwendungsfall für die Unterscheidung von "Körper" und "Leib", wie sie z.B. der Phänomenologe Hermann Schmitz vornimmt. Sexualität ist - im Rahmen der Biologie - einfach ein Teil der anatomischen, physiologischen und ethologischen Beschreibung. Sachlich gesehen gibt es keinen Grund, an die menschlichen Sexualorgane anders heranzugehen als an Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse. Sexualorgane sind einfach ein Teil jeden Körpers und ihr Gebrauch im Sexualverhalten ist ein Naturgeschehen wie der Zitronensäurezyklus. Was dabei mit Muskulatur, Atmung, Blutdruck, Gehirn etc. vonstatten geht, ist ebenso physiologisch beschreibbar wie die Verdauung. - Doch gerade in puncto Sex wird die Differenz zwischen objektivierender Beschreibung - "Körper" - und eigenem Erleben - "Leib" - besonders scharf erlebt. Jeder kennt Sex aus der Beteiligten- und Vollzugsperspektive, aber die körperlichen Tatsachen, die dabei im Spiel sind, waren vor Masters/Johnson selbst unter Ärzten erstaunlich unbekannt. Das hatte natürlich auch mit den moralischen Restriktionen zu tun, denen die Sexualität unterlag. Und in den USA der 50er Jahre waren diese so streng, dass allein der Versuch, Sex wissenschaftlich zu erforschen, schon auf erheblichen Widerstand stieß. Doch anzunehmen, dass seither alle Hemmnisse im Umgang mit der Sexualität ausgeräumt seien, wäre naiv. Und so ist die Geschichte, die diese Serie erzählt, keine kuriose Mär aus längst versunkenen Zeiten...
Das mag als Andeutung des Spannungsfeldes, in dem die Figuren von "Masters of Sex" sich bewegen, genügen. Ich will nur noch abschließend auf eine Szene aus der Episode 9 hinweisen, die das Leib-Körper-Spannungsfeld schlaglichtartig beleuchtet: Jane ist unter den Versuchspersonen von Masters und Johnson eine Art Paradepferd. Sie ist mit Freude und Eifer bei der Sache, sie hat keinerlei Hemmungen, im Dienste der Wissenschaft zu masturbieren und zu kopulieren. Auch als Masters/Johnson eines Tages auf die Idee kommen, die körperlichen Reaktionen während der sexuellen Erregung nicht nur mit Elektroden zu dokumentieren, sondern sie auch zu filmen, ist Jane sofort bereit. Sie fühlt sich fast ein bisschen wie ein kommender Filmstar... Doch als sie sich die Filmaufnahmen der letzten Sitzung/Liegung anschaut, reagiert sie unerwartet barsch: Sie will das nicht sehen, ja sie besteht sogar darauf, dass das Filmaterial vernichtet wird. Hier ihre Worte im Dialog mit Virginia:
VIRGINIA: Oh, that's excellent footage, Jane. In the first minute alone, we've captured neck strain, vasocongestion, the start of a very promising stomach-muscle spasm.
JANE: My stomach muscles, my neck.
VIRGINIA: You can't tell it's you.
JANE: But that's the problem. I know that it's me, but I don't know who that girl is, and, honestly, I-I don't want to know.
VIRGINIA: I'm... I don't understand.
JANE: Virginia... I've not exactly been a saint, as you know. I've slept with a few men, and...well, I like it. I like the feeling of a man, the weight of his body, feeling like I don't exist, except as a million tiny nerve endings. And it can also feel pretty great when I'm alone. But it's an... it's an inside feeling. That's how I know sex...