Um es gleich vorweg zu sagen: Der nächtliche Besucher ist eine Sie! - Sie ist bezaubernd und voller Liebreiz. Ihre Bewegungen sind von graziler Anmut, ihr Verhalten von spielerischer Leichtigkeit. Es hat etwas Sinnliches, wenn sie vorsichtig ihre zarten Glieder streckt, den Hals in feiner Linie zurückbeugt, die leuchtenden Augen bald hierhin bald dorthin richtet. - Ein dezentes Kratzen hatte mich in der ersten Nacht auf sie aufmerksam gemacht, als begehrte da jemand Einlaß in meine Wohnung, der sich seinerseits nicht sicher war, ob ihm der Aufenthalt bei mir zum Vorteil gereichen würde. - Beäugt hatte sie mich schon Tage vorher. Ob sie ihren Besuch geplant hatte? - Als ich ihr die Tür öffnete, selbst nicht ganz sicher, was mich zu nächtlicher Stunde draußen erwartet würde, schaute sie mich mit schräg gehaltenem Kopf erwartungsvoll an. Wir standen uns ein Weilchen gegenüber und schwiegen. Immerhin, es war 04.00 Uhr in der Früh und eigentlich wollte ich ins Bett; aus Höflichkeit wich ich ein paar Schritte zurück, um ihr das Betreten meiner Wohnung zu erleichtern. Sie zögerte. - Doch während ich noch überlegte, wie ich ihre Neugier und ihr Unbehagen so temperieren könnte, daß sie einen Aufenthalt bei mir in Erwägung ziehen möchte, tappte sie mit vorsichtigen Schritten auf ein ihr unbekanntes Terrain. -
Das war im Sommer gewesen. Monate sind seitdem ins Land gegangen. Von ihrer Schwangerschaft erfuhr ich beiläufig. Gewundert hat es mich nicht, denn sie ist wirklich sehr, sehr sexy und ich glaube, sie weiß auch, wie sie auf das andere Geschlecht wirkt. Bei einem ihrer nächtlichen Streifzüge wird es passiert sein, in einem Moment lasziver Hingabe. Der Vater hat sich wie erwartet alsbald aus dem Staub gemacht. Ihre drei Töchter hat sie allein aufgezogen. Oh ja, sie ist taff und selbstbewußt - stolz bisweilen. Heute zögert sie nicht mehr, wenn ich die Tür öffne. Wie der geölte Blitz saust sie zu ihrem Plätzchen, kuschelt sich ein und schnurrt sanft wie ein Kätzchen. Sie ist natürlich ein Kätzchen, eines von der allerpossierlichsten Art und von einer Niedlichkeit, die man sich kaum vorstellen kann. Eng schmiegt sie sich an meine Beine, wenn ich in die Küche gehe, ihr Näpfchen hole - ja, inzwischen bin ich auf Katzenbesuch eingestellt - ihr die herrlichsten Gerichte offeriere: Kalb, Lamm, Pute, Lachs ... alles, was das kleine Katzenherz begehrt.
Ihre nächtlichen Besuche finden nun zunehmend auch am Tage statt. Auch jetzt durchstöbert sie die Wohnung, setzt graziös ihre Pfötchen um die Bücherstapel, um mich dann irgendwann mit einem zärtlichen Stups und leisem Maunzen daran zu erinnern, daß es Zeit ist, sie wieder mal der dunklen Nacht da draußen zu überlassen, bevor sie dann wenig später bereits erneut ins Warme will. Das kann zehnmal in der Nacht so gehen. - Und: neuerdings bringt sie desöfteren Besuch mit: ihr reizendes Töchterchen, klein und verspielt, noch ganz scheu, aber mutig wie die Mama. - So betreibe ich nächtens ein Katzenasyl, kenne mich mit den Vorlieben der Katzendamen aus, halte Futter bereit und gebe bereitwillig den Nachtportier. - Manchmal, wenn ich mit einem Buch auf dem Sofa liege, springt sie mit federleichtem Sprung auf meine Decke, stolziert schnurrend auf meinem Bauch, zeigt mir mit auffordernd obszöner Geste ihr Poloch, mit dem Schwanz über die Buchseiten wedelnd und rollt sich dann zu einem kleinen Fellknäuel zusammen und schläft friedlich ein. - Welch´ ein Vertrauen!
Ich muß an dieser Stelle abbrechen. Die Damen möchten noch mal nächtliche Abenteuer erleben. - Auf die Frage: Als was möchten Sie wiedergeboren werden, habe ich lange Zeit keine Antwort gewußt. - Heute weiß ich: als Kater Murr!