Ich vermute, daß es für meine Frage schon "Standardantworten" gibt, und wäre erfreut, wenn mir jemand ein paar Stichwörter dazu geben könnte. Im Sterbehilfe-Abstimmungs-Thread warf Tauwetter einen interessanten Punkt auf:
Das Gros der Bevölkerung wünscht - soweit ich informiert bin - eine Regelung der Sterbehilfe. Und das Verfassungsgericht hat das Recht auf Sterbehilfe anerkannt.
Ich interpretiere das so, daß das "Gros der Bevölkerung" eine Regelung der Sterbehilfe wünscht, die diese zumindest in Teilen möglich macht, wenigstens ein Teil der Bundesregierung diesen Wunsch aber zurückweist. Eine ähnliche Situation sehe ich zum Beispiel auch in der Frage der Cannabis-Legalisierung, die Umfragen zufolge von einer Bevölkerungsmehrheit begrüßt, aber von größeren Teilen der Politik abgelehnt wird.
Da überlege ich mir: wenn ich naiv davon ausgehe, daß Demokratie - Volksherrschaft - in erster Näherung zu solchen gesellschaftlichen Normen (Gesetzen) führt, die dem Willen der Bevölkerungsmehrheit entsprechen, wie wird dann gerechtfertigt, daß sich der Gesetzgeber über den Volkswillen hinwegsetzen darf, ja in einigen Fällen sogar müßte? Die Frage kam mir zuletzt sehr drastisch vor Augen nach Berichten über das Anti-Homosexuellen-Gesetz in Uganda; die Darstellung der Tagesschau interpretiere ich so, daß sowohl die dortige Regierung wie auch die dortige Bevölkerungsmehrheit das Gesetz befürworten (mit Todesstrafe für Homosexualität etc.).
Woran wird nun festgemacht, daß und welche bestimmte normative Fragen "nicht zur Disposition" stehen? Mein erster Gedanke ging zu den "moralischen Tatsachen" von Markus Gabriel, also die Legitimierung einer solchen finalen Entscheidung durch die Intution des jeweiligen Normgebers, der die Entscheidung dann auch immunisieren könne. Aber würde das nicht in letzter Konsequenz auf das Ende jeder Demokratie hinauslaufen, wenn sämtliche moralisch relevanten Gesetze/sozialen Normen durch moralische Tatsachen entschieden würden? Gabriel schrieb einmal sinngemäß, wenn vollständige moralische Erkenntnis möglich wäre, wäre unmoralisches Verhalten unmöglich. Blieben dann für das politische Tagesgeschäft letztendlich nur amoralische Fragen übrig, wie die sprichwörtliche Frage, ob der Fahrradständer rot oder blau gestrichen werden soll?
Anders und kürzer gefragt: wenn es eine Instanz gibt, die die "wirklich wichtigen" Fragen "richtiger" als eine Volksabstimmung oder eine Regierung beantworten kann, wäre es dann möglich, dieser sämtliche politischen Entscheidungen zu übertragen? Wie sähe dies aus?
(In Wikipedia habe ich nach einigem Suchen immerhin die für mich einleuchtende Formulierung gefunden, daß eine solche Legitimation notwendigerweise "von außen" kommen müsse: "Die Legitimation für die Existenz eines Staates und seiner jeweiligen Verfassung, zum Beispiel einer demokratischen, kann daher nur von Seiten der Philosophie kommen." Da fand ich dann nicht mehr weiter.)