Am vergangenen Sonntag ging die Frankfurter Buchmesse zuende. Auf der Rückfahrt von Frankfurt hörte ich einen Bericht im Radio, wonach die Zahl der Besucher zum zweiten Mal hintereinander rückläufig sei. Vielleicht ist ja der Typus "Leser" in einigen hundert Jahren - etwa dann, wenn Bücher-Wissen minimalinvasiv implantiert werden kann - ausgestorben, so wie es schon bald die Briefkultur sein wird; doch bevor das geschieht, noch schnell ein Blick in einige wenige Neuerscheinungen, die philosophisch von Interesse sein könnten:
Der hier schon besprochene Philosoph Hans Blumenberg ist in den letzten Jahren mit diversen Publikationen aus dem Nachlaß einem breiteren Publikum bekannt geworden. Im Dezember erscheint nun eine Art Register zu den wichtigsten Schlüsselbegriffen seiner Philosophie: "Blumenberg lesen. Ein Glossar", hrsg. v. Robert Buch und Daniel Weidner. - "Ein Muss für jeden Blumenberg-Leser und -Forscher", schreibt der Verlag auf seiner Webseite. Da ist er wieder, jener Leser, der als kongenialer Partner aus der Philosophie des Erzählers Blumenberg kaum wegzudenken ist. Denn da wo Geschichten erzählt werden ("Problemkrimis", Marquard), braucht es zur Komplettierung dessen, was hermeneutische Situation genannt werden darf, den Hörer bzw. den Leser, der diese Geschichten in sich aufnimmt und bewahrt. Und so wundert es auch nicht, daß "Trost" eines der Stichworte dieses Glossars ist. Ob der Mensch des 21. Jahrhunderts noch trostbedürftig ist und ob er überhaupt seiner Verluste gegenwärtig ist, hängt vielleicht auch davon ab, welche erinnernde Kenntnis er noch von den Aussichten und großen Erwartungen hat, die ihm Religion und Aufklärung angetragen haben. Die Schriften Blumenbergs jedenfalls atmen desöfteren den Geist einer gelehrten Melancholie, weil sie von etwas Verlorenem, zumindest etwas Unwiederbringlichem handeln; den Trost darüber bringen sie gleich mit. -
Vom Verlorenen ist es nur ein kleiner Schritt zur Neuübersetzung von Proust´s "Recherche". Jahrzentelang haben deutsche Proust-Leser die Welt der Swanns, Odettes und Saint-Loups und Albertines durch die Übersetzung von Eva Rechel-Mertens kennengelernt. Nun hat Bernd -Jürgen Fischer die ersten drei Bände seiner Neuübersetzung von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" vorgelegt und ihnen - ähnlich wie die Frankfurter Ausgabe - einen Kommentar beigegeben, der es dem Leser ermöglicht, sich in dem komplexen Romanwerk zurechtzufinden. Anders als der Kommentar der Frankfurter Ausgabe verzichtet diese Neuübersetzung auf allzu instruktive und interpretierende Anmerkungen, sondern gibt nur die nötigsten Hinweise zum Verständnis. Das Ganze orientiert sich auch wieder an der Originaledition der "Recherche" in sieben Bänden, statt wie bisher in zehn.
Der Proust-Leser - ihm wird die Beschäftigung mit dem Roman zu einem lebensumspannenden Tun. Wie viele sind nicht schon hingepilgert in die Gegend jenes fiktiven Combray, nach Tansonville oder nach Balbec. Was kann man dort suchen? Oder wichtiger noch: was kann man dort finden? - Vielleicht dieses: Trost.