Ich möchte nochmal auf Tauwetters Beitrag weiter oben zurückkommen und hoffe, daß mein Beitrag nicht zu zynisch ausfällt.
Ich sehe mich nicht im Gegensatz zu dem, was Du behauptest. Natürlich entspricht die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht den Forderungen der Verfassung und erst recht nicht orientiert sich jedes Gesellschaftsmitglied daran in seiner persönlichen Moral. Menschen werden in unserer Gesellschaft vielfach "verzweckt", wie Du ja in Deinen Beispielen ausführst. Menschen als wirtschaftliche Ressource zu betrachten und auch wenigstens teilweise so zu behandeln, ist in unserer Gesellschaft nicht verboten. Aber auch ein noch so zynischer Arbeitgeber kann verklagt werden, wenn er sich nicht an den Arbeitsvertrag hält. Und vor dem Recht sind - idealerweise - alle Menschen gleich. Und es ist möglich Verfassungsklage zu erheben.
Ich bin natürlich nicht so naiv anzunehmen, dass das auch alles so schön funktioniert. Der Arbeitgeber sitzt meist am längeren Hebel und auch Richter urteilen voreingenommen, oberflächlich, uninformiert oder einfach nur zu spät in unserem überlasteten Rechtssystem.
Woran wird nun festgemacht, daß und welche bestimmte normative Fragen "nicht zur Disposition" stehen?
Das war Deine Ausgangsfrage und daran orientiere ich mich immer noch bei der Diskussion. Meine Antwort wäre: Freiheit und Gleichheit dürfen nicht zur Disposition stehen. Die Garantie von Freiheit und Gleichheit scheint mir der Forderung zu entsprechen, dass Menschen nicht "Verzweckt" werden dürfen. Dass auf diversen Gesellschaftlichen Ebenen - wie in Deinem Managerbeispiel - Menschen trotzdem als Mittel zum Zweck betrachtet werden ist mMn trauriger Alltag und lässt sich nicht ändern. Der demokratische Staat kann nur die Grundvoraussetzungen eines gewaltfreien Zusammenlebens zu garantieren versuchen
daß ich die Bundesrepublik nicht wirklich als säkulare Gesellschaft betrachte, sondern eher ein Zweckbündnis zwischen den institutionellen Vertretern des Christentums und der staatlichen Verwaltung sehe. Dies im Sinne des Böckenförde-Diktums auch ausdrücklich mit dem Ziel, die "Prämisse" Art. 1 GG stabilisieren zu helfen.
Betrachtet man die Frage, vor welchem Hintergrund die Verfassung der Bundesrepublik entstanden ist, gebe ich Dir recht. Betrachtet man die Frage, was in einer demokratischen Verfassung niemals zu Disposition stehen darf, dann komme ich wieder zu "Freiheit und Gleichheit", was ich ganz unhistorisch und idealtypisch meine.
Und man könnte ebenso argumentieren, daß man die Prämisse, eine gewaltfreie Gesellschaft zu wollen, "nicht teilen muss", und auch eine gewaltbasierte Gesellschaft lange Zeit stabil bleiben kann, wenn sie nur die Formung der Jugend in ihrem Geiste ausreichend sicherstellt. Als Beispiel möge die römische Republik dienen. Vielleicht kommt, wieder "einen Schritt zurück" letztendlich jeder Verfassungsgeber um genau einen Schritt nicht herum: allen Gesellschaftsmitgliedern zu unterstellen, daß sie dasselbe wollen, wie er selbst.
Die Werte einer idealtypischen demokratischen Verfassung werden ganz bestimmt nicht von jedem Mitglied der zugehörigen demokratischen Gesellschaft geteilt. Die meisten werden die Verfassung nicht einmal wirklich kennen und sich überhaupt wenig Gedanken darum machen. Und es kann Gruppierungen geben, die versuchen die demokratische Verfassung auf politischem Weg abzuschaffen.
Und auch eine Autokratie kann politisch stabil bleiben, allerdings sicher nicht gewaltfrei, den die Opposition wird mundtot gemacht und endet im Straflager oder gleich im Grab.
Die Verfassungsgeber einer demokratischen Verfassung (jetzt einmal als imaginäre Versammlung gedacht) können sicher nicht unterstellen, dass alle Gesellschaftsmitglieder de facto das gleiche wollen wie sie selbst. Aber sie müssen unterstellen, dass alle das gleiche wollen sollten, wenn sie eine freiheitliche und gewaltfreie Gesellschaft wollen. Das ist nicht im Sinne einer Bevormundung gemeint, sondern als ein a priori.