"Erinnerung, sprich" (Vladimir Nabokov)

  • Fast dreißig Jahre nach dem Erscheinen des letzten Tagungsbandes von Poetik und Hermeneutik ranken sich um das reale Geschehen in der Gruppe Legenden, Mythen und Anekdoten. - Die Teilnehmer von damals leben größtenteils nicht mehr. Was bleibt sind die Erinnerungen meist Hochbetagter und derjenigen, die als Ehepartner, Protokollanten u.ä. ins Geschehen eingeweiht waren, Interna bezeugen können.


    Petra Boden und Rüdiger Zill haben den aufwendigen Versuch unternommen, Interviews mit Beteiligten zu führen, die 2017 unter dem Titel Poetik und Hermeneutik im Rückblick erschienen sind.


    Daß die Erinnerungen an die Tagungen und ihre Umstände nicht immer frei von Eintrübungen sind, zeigt das Gespräch mit Thomas Luckmann, der fünf Wochen nach dem Interview mit Boden und Zill verstarb. Er berichtet in diesem Interview von der Nachricht vom Tod Gerhart von Graevenitz' (auch von Graevenitz war Teilnehmer bei Poetik und Hermeneutik)


    "Als die Nachricht kam, haben wir uns an ihn erinnert, und ich hab zu Renate Lachmann gesagt: 'Erinnerst du dich: Als wir in Prag waren, sind wir durch den Wallensteingarten unter dem Hradschin gegangen, und da trafen wir Gerhart von Graevenitz.' Sagt sie: Ja, ich erinnere mich. Aber du warst nicht dabei.'"

  • "Inseln sind abgeschlossene Orte, die auf gedrängtem Raum zeigen, was auch im Großen geschieht oder geschehen soll. Sie sind natürliche Laboratorien, in denen sich die Entstehung und der Untergang von biologischen Arten beobachten lassen. Sie sind aber auch ein imaginäres Spielfeld des Sozialen, philosophischer und literarischer Schauplatz gesellschaftlicher Utopien. Die einen sehen sie als Elysium, als Refugium des Glücks. Die anderen missbrauchen sie zur Bannung der Gefahr: als Pestinseln oder Kerker. So werden sie zur Projektionsfläche unserer Sehnsüchte wie auch unserer Ängste." (Einstein-Forum)


    Am 21./22. Januar 2021 veranstaltete das Einstein-Forum eine Tagung mit dem Titel Inseln zwischen Isolation und Autarkie. Den Abschlußvortrag hielt Rüdiger Zill zum Thema Von kosmischen und anderen Oasen - Die Insel als Modell:


    https://www.youtube.com/live/NacXPU8LBcM?feature=share

  • Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.

    (William Faulkner)


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  • Eine vorzügliche Studie zu den Anfängen von Poetik und Hermeneutik hat 2017 Julia Amslinger (geb. Wagner) vorgelegt:


    Eine neue Form von Akademie. Poetik und Hermeneutik - die Anfänge vorgelegt.


    Dieser Bericht ist deshalb von großem Wert, weil er Einblicke in die Früh- und Vorbereitungsphase der Gruppe gibt und in einem ausführlichen Anhang 543 Briefe der Beteiligten abdruckt. Für Interessierte am philosophischen und literarischen Geistesleben der frühen Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre eine Fundgrube.

  • Mit der Popularität von Philosophen verhält es sich ähnlich wie mit dem Sichtbaren des Eisbergs oder mit Brecht zu reden: "Und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht". Ein Martin Heidegger ist namentlich wohl über den Kreis der philosophisch Interessierten hinaus bekannt, Edmund Husserl eher nicht.


    Tief unten im Maschinenraum der Phänomenologie ist es nahezu stockdunkel; hier stößt man auf zwei Männer, die nach Husserls Tod sein Erbe bewahrt und weiterentwickelt haben. Wie Edith Stein und Martin Heidegger gehörten beide zu seinen Assistenten, Eugen Fink und Ludwig Landgrebe. Husserls Erbe - das kann man durchaus wörtlich nehmen. Gemeinsam mit dem Franziskaner-Mönch Herman Leo Van Breda retten sie den handschriftlichen Nachlaß Husserls im November 1938, als in Deutschland die Synagogen brennen, in einer lebensgefährlichen Aktion vor der Vernichtung durch die Nazis. 40.000 Seiten in Gabelsberger Kurzschrift werden als "Diplomatengepäck" über die belgische Grenze insgeheim nach Leuven verbracht. Später wird dieser Nachlaß in der großen Gesamtausgabe der Werke Husserls, den Husserliana, erscheinen. Der erste Band erscheint 1950 und auch nach einem dreiviertel Jahrhundert sind noch nicht alle Manuskripte veröffentlicht; die letzten vier Bände sind in Vorbereitung.


    Nach der Besetzung Belgiens werden Fink und Landgrebe interniert. Bei der Bombardierung Leuvens wird die Universität vollständig zerstört. Husserls Nachlaß, zuvor eingemauert, übersteht den Angriff. Eugen Fink und Ludwig Landgrebe setzen nach dem Krieg auf Lehrstühlen in Freiburg, Kiel und Köln ihre Arbeit an der Phänomenologie fort. Pater Herman Leo Van Breda überreicht 1950 den ersten Band der Husserliana an Husserls Witwe Malvine. - Im selben Jahr schreibt Ludwig Landgrebe, der inzwischen Professor in Kiel ist an einen seiner Schüler, dessen Habilitation er betreut:


    "Ich muß Ihnen das schon einmal sagen, weil ich darin bei Ihnen überhaupt eine Gefahr sehe, daß Sie offenbar aus einem abgrundtiefen Mißtrauen gegen Ihre Mitmenschen heraus, die Gewohnheit haben, überall sofort den schwärzesten Verdacht zu hegen und durch die Schärfe Ihrer Reaktionen sich in unnötiger Weise Feinde zu machen und der Erreichung Ihrer wohlberechtigten Ziele im Wege zu stehen. Wenn auch dieses prinzipielle Mißtrauen vielleicht aus manchen schmerzlichen Erfahrungen herrühren mag, so sollten sie doch versuchen, sich davon etwas frei zu machen."


    Der Adressat ist ein gewisser Hans Blumenberg.


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    (Edmund Husserl - 1900)


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    (Eugen Fink und Edmund Husserl)


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    (Rudolf Boehm, Walter Biemel, Eugen Fink, Albert Dondeyne, Ludwig Landgrebe und Pater Herman Leo Van Breda)

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